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Herren davon genau, wie z. B. Herr Truchseß von Waldburg mein geneigter Herr und Freund ist.“

Der fette Herr schien etwas erwidern zu wollen, spülte aber das, was ihm auf der Zunge lag, mit einigem Wein hinunter. Jedoch die Bürger brachen bei Erwähnung so vornehmer Bekanntschaften in ein Gemurmel des Staunens aus und lüfteten ehrerbietig ihre Mützen.

„Nun, wenn Ihr bei dem Bunde so gut bekannt seid“, sagte der Zerlumpte mit etwas trotziger Miene, „so werdet Ihr uns die beste Nachricht geben können, wie es um Tübingen aussieht.“

„Es pfeifet auf dem letzten Loch“, antwortete der Gefragte; „ich war vor kurzer Zeit dort und sah die fürtrefflichen und schrecklichen Anstalten zur Belagerung.“

„Ei, – So, – Wie“, flüsterten die Bürger und rückten näher zusammen, als erwarteten sie wichtige Kunde.

Der hagere Mann lehnte sich an die Lehne seines Stuhles zurück, steckte die langen Finger in die Degenkuppel, streckte die Beine um einige Zoll länger aus und sprach: „Ja, ja, ihr Leute, dort sieht es arg aus; alle Ortschaften in der Nachbarschaft sind in großem Schaden, denn die Obstbäume sind alle abgehauen, man schießt mit aller Macht auf Stadt und Schloß, und die Stadt hat sich schon ergeben; im Schloß liegen vierzig Ritter, aber sie können die paar Mäuerlein nicht mehr lange halten!“

„Was? ein paar Mäuerlein?“ rief der fette Herr und setzte seine Kanne klirrend auf den Tisch; „wer je das Schloß von Tübingen gesehen hat, kann nicht von ein paar Mäuerlein reden. Hat es nicht auf den Seiten, wo es an den Berg stößt, zwei tiefe Graben, daß die Bündler mit keiner Leiter hinauf können, und Mauern zwölf Schuh dick und Türme, aus welchen sie ihre Feldschlangen nicht übel spielen lassen.“

„Umgeschossen, umgeschossen!“ rief der lange Mann mit so greulich hohler Stimme, daß die erschrockenen Bürger die Türme von Tübingen krachen zu hören glaubten; „den neuen Turm, den der Ulerich neulich aufbaute, hat der Frondsberg umgeschossen, wie wenn er nie dagestanden wäre.“[Hauff 1]

[199] „Aber damit ist noch nicht alles hin“, antwortete der Zerlumpte. „Und die Ritter machen Ausfälle aus dem Schloß und haben schon manchen auf dem Wörth am Neckar schlafen gelegt. Und dem Frondsberg haben sie den Hut vom Kopf geschossen, daß er heute noch Ohrensumsen hat.“[Hauff 2]

„Da seid Ihr falsch berichtet“, sprach der Hagere nachlässig; „Ausfälle? dafür haben die Belagerer leichte Reiter wie die Teufel; es sind Griechen, ich weiß nicht, vom Ganges oder Epiros, man heißt sie Stratioten[1]; die haben einen Obersten, den Georg Samares, der läßt keinen Hund aus dem Loch ausfallen.“[Hauff 3]

„Der hat halt auch ins Gras beißen müssen“, entgegnete der zerlumpte Mann mit einem höhnischen Seitenblicke; „die Hunde, wie Ihr sie nennt, sind dennoch ausgefallen, obgleich der Grieche vor dem Loch stand, und haben ihn gebissen und gefangen, und –“

„Gefangen? den Samares?“ rief der Lange aus seiner vornehmen Ruhe aufgeschreckt; „Freund, das habt Ihr falsch gehört!“

„Nein“, antwortete jener sehr ruhig, „ich habe die Glocken läuten hören, als man ihn in Sankt Jörgenkirche begraben hat.“

Die Bürger schauten aufmerksam nach dem langen Fremden, um zu erforschen, was für einen Eindruck diese Nachricht auf ihn mache. Er ließ seine buschigen Augenbrauen herab, daß von seinen Augen nichts mehr zu sehen war, zwirbelte seinen langen, dünnen Knebelbart, schlug mit der knöchernen Hand auf den Tisch und sagte: „Und wenn sie ihn auch in zehn Stücke zerhauen hätten, den Griechen, es hilft doch nichts! Das Schloß muß über, da hilft nichts, und hat man Tübingen, dann gute Nacht Württemberg. Der Ulerich ist zum Land hinaus, und meine gnädige Herren und Gönner sind Meister.“

„Wer steht Euch davor, daß er nicht wiederkommt? und dann – –?“ sagte der kluge, fette Herr und klappte den Deckel zu.

„Was, wiederkommen“, schrie jener; „der Bettelmann? Wer sagt das, daß er wiederkommt; wer wagt es? He?“


  1. Es waren leichtbewaffnete albanesische Reiter in türkischer Tracht.

Anmerkungen (Hauff)

  1. [297] Sattler II, § 9. Hierüber ist vorzüglich zu vergleichen Fried. Stumphardt, Chron. § III, Die Geschichte der Herren v. Frondsberg, Frankfurt a. M., 2. Buch, und Tethinger, Commentarius de Würt. reb. gest. Lib. II.[WS 1]
  2. [297] Bei dieser Belagerung wurde Georg von Frondsberg das Barett vom Kopf geschossen. So erzählen Sattler, Stumphardt, Tethinger u. a.
  3. [297] Diese Griechen sind eine sonderbare Erscheinung bei der Belagerung von Tübingen: man hieß sie Stratioten; ihr Hauptmann war Georg Samaras aus Corona in Albanien. Er ist in der Stiftskirche in Tübingen begraben. Ausführlich beschreibt sie Tethinger, Comment.[298] de Würt. gest. 931. Crusius nennt sie vorzüglich berühmt im Lanzenschwingen. κονταριο φορουσιν.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hauffs Anmerkung Nr. 4 zum zweiten Teil fehlt in diesem Exemplar, an dieser Stelle eingefügt nach G. Schwabs Ausgabe: Wilhelm Hauff’s sämmtliche Schriften, Brodhag’sche Buchhandlung, Stuttgart 1830, Fünftes Bändchen, S. 24 unten – Google.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 198–199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)