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„Was geht es uns an?“ murmelten die Gäste unmutig; – „wir sind friedliche Bürger, uns ist’s einerlei, wer Herr im Land ist, wenn nur die Steuern anders werden. – Wenn man in der Herberg’ ist, wird doch auch noch ein Wort erlaubt sein?“ So sprachen sie, und der Hagere schien zufrieden, daß ihm keiner etwas Ernstliches entgegnete. Er sah einen um den andern mit stechendem Blicke an, zog dann sein Gesicht in freundlichere Falten und sagte: „Es war nur zur Erinnerung, daß wir den Herzog fürder nicht mehr brauchen; mein Seel’, mir ist er wie Gift und Operment[1], darum gefällt mir auch das Paternoster so gut, das einer auf ihn gemacht hat; ich will es einmal singen.“ Die Bürger sahen finster vor sich hin und schienen nicht sehr begierig auf den Spottgesang, der ihrem unglücklichen Herzog galt. Jener aber befeuchtete seine Kehle mit einem guten Trunk und sang mit heiserer, unangenehmer Stimme:

„Vater unser
Reutlingen ist unser.
Der du bist
Eßlingen hat nicht lange Frist.
Geheiligt werde dein Nam’,
Heilbronn und Weil wollen wir han.
Zukomm’ uns dein Reich,
Ulm sieht uns auch gleich.
Dein Will’ geschehe
Die Münz’ hat gereiht ein anderes Geprähe.
Unser täglich Brot
Wir haben Geschütz für alle Not.
Gib uns heut’ und vergib uns unsere Schuld,
Wir haben des Königs in Frankreich Huld,
Als wir vergeben unseren Schuldigern,
Wir wollen dem Bund das Maul zusperr’n!
Laß uns nicht versucht werden
Wir wöllen bald Kaiser werden.
Sondern erlös’ uns vom Übel. Amen!
So behalten wir des Kaisers Namen.“[Hauff 1][2]

[201] Er schloß seinen Gesang mit einem fatalen zitternden Schnörkel, der weiter keinen Effekt hervorbrachte, als daß die Bürger einander heimlich anstießen und über die jämmerlichen Töne des Sängers die Achsel zuckten. Er aber schaute stolz in dem Kreise umher, als wolle er in den Mienen seiner Zuhörer den gerechten Beifall lesen.

„Ihr habt da ein gar frommes Lied gesungen“, sagte der Zerlumpte, „so fein kann ich’s nicht, aber doch weiß ich auch ein neues Lied und will es mit Eurem Verlaub singen.“

Der Hagere sah ihn scheel und spöttisch an, die Bürger aber nickten ihm zu, und er begann mit einem angenehmen Tenor, indem er die Augen halb zuschloß, aber doch hin und wieder auf den langen Mann hinüberschielte, als beobachte er, welchen Eindruck sein Gesang mache[Hauff 2][3]:

„O weh, wo bleibet deine Kraft,
Württemberg, du arme Landschaft;
Ich klag’ dich billig hart und sehr,
Denn der Bader von Ulm, der ist dein Herr.

Der zu Nürnberg die Wetschger[4] macht,
Der Weber von Augsburg treibt auch seine Pracht[5],
Der Salzsieder von Schwäbisch-Hall,
Von Ravenspurg die Krämer all’.

Von Rothweil die neuen Schweizerknaben
Wollten der Gans auch ein Feder haben,
Und der Schneider von Memming ist in der Sach’
Und auch der Kürschner von Biberach.“

Lärmender Beifall und Gelächter unterbrach den Sänger; sie langten über den Tisch herüber, schüttelten dem Zerlumpten die


  1. Aurigpigment, gelbes Mineral, aus Schwefelarsen bestehend; wirkt giftig
  2. Dieses Lied, wahrscheinlich dem übermütigen Selbstvertrauen der herzoglich gesinnten Kreise entstammend, soll, wie man damals glaubte, der Herzog selbst [201] haben ausgehen lassen. Bei Hauff ist es als eine Verspottung des Herzogs aufgefasst.
  3. Diese Verse sind einem größeren Liede mit der Überschrift „Wyrtenbergscher spruch wider die stet des bunds und antwort von wegen des adels“ entnommen, das in Ulrichs Lager entstand und die Städte des Schwäbischen Bundes mit Spottnamen belegt.
  4. D. i. Mantelsack- oder Taschenmacher, vom mittelhochdeutschen wât-sac = Tasche für Kleidungsstücke.
  5. Bezieht sich auf die Fugger, deren Ahnherr und ältere Familienglieder Webermeister waren.

Anmerkungen (Hauff)

  1. [298] Man vergleiche über diesen Volkswitz des Freiherrn von Aretin, Beiträge zur Geschichte und Litteratur 1805, 5. Stück, Seite 438.
  2. [298] In der Chronik des Georg Stumphardt über die gewaltsame Verjagung des Herzogs Ulerich findet sich als eigener Artikel ein: „gereimter Spruch also lautend“; wo in einer großen Menge Knittelversen das Unglück des Herzogs und des Landes beschrieben ist. Aus diesem Gedicht sind jene Verse im Text entlehnt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 200–201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_123.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)