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Der Geächtete trank in langen Zügen den Becher aus, ließ ihn wieder füllen und reichte ihn Georg. „Wie ist mir doch?“ sagte dieser, „blühte nicht dieser Wein um Württembergs Stammschloß? Ich glaube man nennt also den Wein, der auf jenen Höhen wächst?“

„Es ist so“, antwortete der Geächtete; „Rothenberg heißt der Berg, an dessen Fuß dieser Wein wächst, und auf seinem Gipfel steht das Schloß, das Württembergs Ahnen gebaut haben. – O, ihr schönen Thäler des Neckars, ihr herrlichen Berge voll Frucht und Wein! von euch, von euch auf immer?!“ Er rief es mit einer Stimme, die aus einem gebrochenen Herzen voll Schmerz und Kummer heraufstieg, denn die Wehmut hatte die Decke gesprengt, womit der feste, unbeugsame Sinn dieses Mannes seine kummervolle Seele verhüllt hatte.

Der Bauer kniete nieder zu ihm, ergriff seine Hand und weckte ihn aus dem düsteren Hinbrüten, dem er sich einige Augenblicke hingegeben hatte. „Seid stark, guter Herr! Ihr werdet sie wiedersehen, fröhlicher, als Ihr sie verlassen habt.“

„Ihr werdet sie wiedersehen, die Thäler Eurer Heimat“, rief Georg, „wenn der Herzog einrückt in sein Land, wenn er einziehet in die Burg seiner Ahnen, wenn die Thäler des Neckars und seine weinreichen Höhen widerhallen vom Jubel des Volkes, dann werdet auch Ihr Eurer Wohnung wieder entgegenziehen. Verscheuchet die trüben Gedanken, ‚nunc vino pellite curas‘[1], trinket, vergesset nicht, was wir vorhin gesprochen haben, ich thue Euch Bescheid in diesem Württemberger Weine, – ‚der Herzog und seine Treuen!‘ –“

Ein angenehmes Lächeln ging wie ein Sonnenblick bei diesen Worten auf den düsteren Zügen des Ritters auf. „Ja!“ rief er, „Treue ist das Wort, das Genesung gibt dem gebrochenen Herzen, wie ein kühler Trank dem einsamen Wanderer in der Wüste. Vergesset meine Schwäche, Junker; verzeihet sie einem Mann, der sonst seinem Kummer nicht Raum gibt. Aber wenn Ihr je vom Gipfel des Rothenberges hinabgesehen hättet auf das Herz von Württemberg, wie der Neckar durch grüne Ufer zieht, wie mannshohe [235] Halmen in den Feldern wogen, wie sanfte Hügel am Fluß sich hinaufziehen, bepflanzt mit köstlichem Weine, wie dunkle, schattige Forsten die Gipfel der Berge bekränzen, wie Dorf an Dorf mit seinen freundlichen roten Dächern aus den Wäldern von Obstbäumen hervorschauen, wie gute, fleißige Menschen, kräftige Männer, schöne Weiber auf diesen Höhen, in diesen Thälern walten und sie zu einem Garten anbauen, – hättet Ihr dieses gesehen, Junker, gesehen mit meinen Augen, und säßet jetzt hier unten, hinausgeworfen, verflucht, vertrieben, umgeben von starren Felsen, tief im Schoß der Erde! O, der Gedanke ist schrecklich und oft zu mächtig für ein Männerherz!“

Georg bangte, der Ritter möchte durch die traurige Gegenwart und seine schöneren Erinnerungen wieder in seine Wehmut zurückgeführt werden, daher suchte er schnell dem Gespräch eine andere Wendung zu geben: „Ihr waret also oft um den Herzog, Herr Ritter? O, saget mir, ich bin ja jetzt sein Freund, saget mir, wie ist er im Umgang? Wie sieht er aus? Nicht wahr, er ist sehr veränderlich und hat viele Launen?“

„Nichts davon“, entgegnete der Geächtete, „Ihr werdet ihn sehen und lernet ihn am besten ohne Beschreibung kennen. Aber schon zu lange haben wir von fremden Angelegenheiten gesprochen, von Euren eigenen saget Ihr gar nichts? nichts von dem Zweck Eurer jetzigen Reise, nichts von dem schönen Fräulein von Lichtenstein? – Ihr schweiget und schlaget die Augen nieder? Glaubet nicht, daß es Neugierde sei, warum ich frage; nein, ich glaube Euch in dieser Sache nützlich sein zu können.“

„Nach dem, was diese Nacht zwischen uns geschehen ist“, antwortete Georg, „ist von meiner Seite keine Zurückhaltung, kein Geheimnis mehr nötig. Es scheint auch, Ihr wußtet längst, daß ich Marien liebe, vielleicht auch, daß sie mir hold ist?“

„O ja“, entgegnete der Ritter lächelnd, „wenn ich anders die Zeichen der Liebe verstehe und richtig deuten kann; denn sie schlug, wenn von Euch die Rede war, die Augen nieder und errötete bis in die Stirne, auch nannte sie Euren Namen mit eigenem, so eigenem Ton, als geben alle Saiten ihres Herzens den Akkord zu diesem Grundton an.“


  1. „Vertreibt nun die Sorgen mit dem Wein!“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 234–235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_140.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)