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geschickt, sagt Ihr? Der Herzog will ins Schloß, weil die Besatzung seit einigen Tagen zu wanken scheint? Da kann also Ulerich nicht bis Mömpelgard entflohen sein, wie die Leute sagen; da ist er vielleicht in der Nähe? O, daß ich ihn sehen könnte, daß ich mich mit ihm nach Tübingen schleichen könnte!“

Ein sonderbares Lächeln zog flüchtig über die ernsten Züge des Alten; „Ihr werdet ihn sehen, wenn es Zeit ist“, sagte er. „Ihr werdet ihm angenehm sein, denn er liebt Euch schon jetzt. Und ist das Glück gut, so sollt Ihr auch mit ihm nach Tübingen kommen, Ihr habt mein Wort drauf. – Doch jetzt muß ich Euch bitten, Euch ein Stündchen allein zu gedulden. Mich ruft ein Geschäft, das aber bald abgethan sein wird. Nehmt Euch meinen Wein zum Gesellschafter, schauet Euch um in meinem Haus, ich würde Euch einladen, auf die Jagd auszureiten, wenn ein solches Vergnügen zum Karfreitag paßte.“

Der alte Herr drückte seinem Gast noch einmal die Hand und verließ das Zimmer; bald nachher sah ihn Georg aus dem Schlosse dem Wald zureiten.

Als sich der junge Mann allein gelassen sah, fing er an, seinen Anzug ein wenig zu besorgen, der durch den Ritt in der Nacht, durch seinen Aufenthalt in der Höhle etwas außer Ordnung gekommen war. Wer je unter solchen Umständen in die Nähe der Geliebten kam, wird es ihm nicht übelnehmen, wenn er vor einem kleinen Spiegel von poliertem Metall, den er in diesem Gemach vorfand, und der wohl zu Mariens Gerätschaften gehören mochte, Bart und Haare ordnete, das Wams ein wenig reinigte und jede Spur von Unordnung aus seinem Anzug zu verbannen suchte. Er erging sich dann in dem großen Zimmer und suchte unter den vielen Fenstern eines auf, von welchem er auf den Felsenweg hinabschauen konnte, den Marie von der Kirche im Thal heraufkommen mußte.

Es waren fröhliche Gedanken, die sich in bunter Menge an seiner Seele vorüber drängten, schnell und flüchtig wie ein Zug heller Wölkchen, die am blauen Gewölb des Himmels dahingleiten. Dies war die Burg, die er seit mehr als einem Jahre im Wachen geträumt, in Träumen klar gesehen hatte; dies die Berge, [253] die Felsen, von denen sie ihm so oft erzählte, dies die Gemächer ihrer Kindheit! Es hat etwas Anziehendes, in den Zimmern zu verweilen, wo die Geliebte groß geworden ist. Man träumt sich um Jahre zurück, man sieht sie als kleines Mädchen in diesen Kammern, in diesen Gängen sich umtreiben. Man geht um einige Jahre vorwärts, man sieht sie noch klein, aber verständig der Mutter jene kleinen Künste der Haushaltung abspähen, die sie viele Jahre nachher als Hausfrau nötig hat. Doch in dem kleinen Köpfchen gestaltet sich schon jetzt ein eigenes Hauswesen; es ist vielleicht jene Ecke, dachte Georg lächelnd, wo sie in kindischer Geschäftigkeit, was sie von den Brosamen der Küche erbeutete, zu Speisen von eigener Erfindung bereitete, wo sie das hölzerne Wesen, das ein Knecht kunstreich schnitzelte, und die Amme mit einigen bunten Fetzen behängt hat, für ein wackeres Kind hält und es mit wichtiger Miene zu füttern gedenkt.

Und dann jene anmutsvolle Stufe zwischen Kind und Jungfrau! Wo ist wohl das stille Plätzchen, wo das fünfzehnjährige Fräulein, wenn sie in Garten und Feld nach Kinderweise getobt hatte, sich ernst und feierlich hinsetzte, die Kunkel zur Hand nahm und goldene Fäden zog, während ihr der Vater von der Mutter und von den Tagen seiner Jugend erzählte oder durch weise Lehren und gewichtige Sprüche den Geist der Jungfrau zu erheben suchte?

Wo ist das Lieblingsfenster, wohin sie sich, immer höher und schöner heranwachsend, gerne setzte und mit unbewußter dunkler Sehnsucht in die Ferne sah, über das Leben und ihre eigene Zukunft nachsann und sich in freundliche Träume versenkte?

Es war ihm so heimisch, so wohl in diesem Hause, es war ihr Geist, der hier waltete, der ihn umschwebte, den er, ob sie auch fern war, freundlich begrüßte; dieses Gärtchen auf einem schmalen Raum am Felsen hatte sie besorgt und gepflegt, diese Blumen, die in einem Topf auf dem Tische standen, hatte sie vielleicht heute schon gepflückt! Er ging hin, diese Zeichen ihres freundlichen Sinnes zu begrüßen.

Er beugte sich herab über die Blumen, er führte die duftenden Veilchen zum Mund. In diesem Augenblick glaubte er

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 252–253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_149.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)