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ein Geräusch vor der Thüre zu vernehmen; er sah sich um – sie war es, es war Marie, die staunend und regungslos, als traue sie ihren Augen nicht, an der Thüre stand. Er flog zu ihr hin, er zog sie in seine Arme, und seine Lippen erst schienen sie zu überzeugen, daß es nicht der Geist des Geliebten sei, der ihr hier erscheine. Wie viel hatten sie sich zu fragen, bei weitem mehr, als sie nur antworten konnten. Es gab Augenblicke, wo sie, wie aus einem Traum erwacht, sich ansahen, sich überzeugen mußten, ob sie denn wirklich sich wieder haben.

„Wie viel habe ich um dich gelitten“, sagte Marie, und ihre Wangen straften sie nicht Lügen; „wie schwer wurde mir das Herz, als ich aus Ulm scheiden mußte. Zwar hattest du mir gelobt, vom Bunde abzulassen, aber hatte ich denn Hoffnung, dich so bald wiederzusehen? – und dann, wie mir Hans die Nachricht brachte, daß du mit ihm nach Lichtenstein kommen wolltest, aber du seiest überfallen, verwundet worden; das Herz wollte mir bald brechen, und doch konnte ich nicht zu dir, konnte dich nicht pflegen!“

Wie beschämt war Georg, wenn er an seine thörichte Eifersucht zurückdachte, wie fühlte er sich so klein und schwach Mariens zarter Liebe gegenüber. Er suchte sein Erröten zu verbergen, er erzählte, oft unterbrochen von ihren Fragen, wie sich alles so gefügt habe, wie er dem Bunde abgesagt, wie er über die Alb gezogen sei, wie er überfallen worden, wie er der Pflege der Pfeifersfrau sich entzogen habe, um nach Lichtenstein zu reisen.

Georg war zu ehrlich, als daß ihn Mariens Fragen nicht hin und wieder in Verlegenheit gesetzt hätten; besonders als sie mit Verwunderung fragte, warum er denn so tief in der Nacht erst nach Lichtenstein aufgebrochen sei, wußte er sich nicht zu raten. Die schönen, klaren Augen der Geliebten ruhten so fragend, so durchdringend auf ihm, daß er um keinen Preis eine Unwahrheit zu sagen vermocht hätte.

„Ich will es nur gestehen“, sagte er mit niedergeschlagenen Augen, „die Wirtin in Pfullingen hat mich bethört; sie sagte mir etwas von dir, was ich nicht mit Gleichmut hören konnte.“

„Die Wirtin? von mir?“ rief Marie lächelnd; „nun was [255] war denn dies, daß es dich noch in der Nacht die Berge herauftrieb?“

„Laß es doch! ich weiß ja, daß ich ein Thor war. Der geächtete Ritter hat mich ja schon längst überzeugt, daß ich völlig unrecht hatte.“

„Nein, nein“, entgegnete sie bittend, „so entgehest du mir nicht; was wußte die Schwätzerin wieder von mir; gestehe nur gleich –“

„Nun, lache mich nur recht aus; sie erzählte: du habest einen Liebsten und lassest ihn, wenn der Vater schlafe, alle Nacht in die Burg.“

Marie errötete; Unwille und die Lust, über diese Thorheit zu lachen, kämpften in ihren schönen Zügen. „Nun, ich hoffe“ sagte sie, „du hast ihr darauf geantwortet, wie es sich gehört, und aus Unmut über eine solche Verleumdung ihr Haus verlassen? Dachtest vielleicht, du könntest unser Schloß noch erreichen und hier übernachten?“

„Ehrlich gestanden, das dachte ich nicht. Siehe, ich war noch halb krank, ich glaubte ihr auch anfangs gewiß nicht, aber deine Amme, die alte Frau Rosel, wurde aufgeführt, sie hatte es der Wirtin gesagt, sie hatte mich selbst mit ins Spiel gebracht und bedauert, daß ich um meine Liebe betrogen sei, da – o, sieh nicht weg, Marie, werde mir nicht bös! Ich schwang mich aufs Pferd und ritt vors Schloß herauf, um ein Wort mit dem zu sprechen, der es wage, Marien zu lieben.“

„Das konntest du glauben?“ rief Marie, und Thränen stürzten aus ihren Augen. „Daß Frau Rosel solche Sachen aussagt, ist unrecht, aber sie ist ein altes Weib, klatscht gerne; daß die Frau Wirtin solche Sachen nachsagt, nehme ich ihr nicht übel, denn sie weiß nichts Besseres zu thun; aber du, du, Georg, konntest nur einen Augenblick so arge Lügen glauben, du wolltest dich überzeugen, daß –“ von neuem strömten ihre Thränen, und das Gefühl bitterer Kränkung erstickte ihre Stimme.

Georg zürnte sich selbst, daß er so thöricht hatte sein können, aber er fühlte auch, daß, wenn er ein großes Unrecht an der Geliebten begangen hatte, es nur die Liebe war, die ihn verleitete.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 254–255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_150.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)