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„Er gehört ihm, dem Vertriebenen“, erwiderte Marie, „und weil ich auf dem Sprung war, den Namen seines Herrn zu nennen, kam er, mich zu warnen.“

„Warum aber führt der Ritter seinen Hetzer nicht mit sich? wahrlich, ein Arm wie der seine, unterstützt von einem solchen Tier, darf sechs Mörder nicht fürchten.“

„Das Tier ist wachsam“, antwortete sie, „aber wild. Wenn er es in der Höhle unten hätte, so hätte er zwar einen sicheren Schutz; wie aber, wenn durch Zufall ein Mensch in jene Höhle käme? Sie ist so groß, daß man den Mann nicht darin ahnen kann, aber die Dogge würde ihn verraten. Sie würde knurren und anschlagen, sobald sie Tritte hörte, und sein Aufenthalt wäre entdeckt. Darum hat er ihm befohlen, als er wegging, hier zu bleiben, er versteht dies Gebot, und ich sorge für ihn. Er hat ordentlich das Heimweh nach seinem Herrn, und die Freude solltest du sehen, wenn es Nacht wird; er weiß, daß dann sein Herr bald ins Schloß kommt, und wenn die Zugbrücke niederfällt und die Schritte des Mannes auf dem Hofe tönen, da ist er nicht mehr zu halten, er würde sechsfache Ketten zerreißen, um bei ihm zu sein!“

„Ein schönes Bild der Treue! doch ein schöneres noch ist der Mann, dem dieser Hund gehört. Hing er doch ebenso treu an seinem Herrn und ließ sich verbannen und ins Elend jagen; es ist thöricht von mir“, setzte Georg hinzu, „ich weiß, Neugierde steht einem Mann nicht an, aber wissen möchte ich, wer er ist?“

„So gedulde dich doch bis es Nacht wird! Wenn der Mann kommt, will ich ihn fragen, ob du es wissen darfst; ich zweifle nicht, er wird es erlauben.“

„Es ist noch lange bis dahin, und jeden Augenblick muß ich an ihn denken; wenn du mir es nicht sagst, so muß ich mich an den Hund wenden, vielleicht ist er gütiger als du.“

„Versuche es immer“, rief Marie lächelnd, „wenn er sprechen kann, so soll er es nur gestehen.“

„Hör einmal, du ungeheurer Geselle“, wandte sich Georg zu dem Hund, der ihn aufmerksam ansah, „sage mir, wie heißt dein Herr?“

[267] Der Hund richtete sich stolz auf, riß den weiten Rachen auf und brüllte in schrecklichen Tönen „U–u–u!“

Marie errötete. „Laß doch die Possen“, sagte sie und rief den Hund zu sich, „wer wird mit Hunden sprechen, wenn man in menschlicher Gesellschaft ist!“

Georg schien nicht darauf zu hören. „U! hat er gesagt, der gute Hund? der ist darauf geschult, ich wollte alles wetten! es ist nicht das erstemal, daß man ihn fragt: wie heißt dein Herr?“

Kaum hatte Georg die letzten Worte gesprochen, so fing der Hund mit noch greulicheren Tönen als vorher sein U–u–u! zu heulen an. Aufs neue errötete Marie, sie hieß beinahe unwillig den Hund schweigen, er legte sich ruhig zu ihren Füßen.

„Da haben wir’s“, rief Georg lachend, „der Herr heißt U! und fing das sonderbare Wort auf dem Ringe, den mir der Ritter gab, nicht auch mit U an? Ungeheuer! heißt dein Herr vielleicht Uffenheim? oder Uxküll? oder Ulm? oder vielleicht gar –“

„Unsinn! der Hund hat gar keinen anderen Laut als U; wie magst du dir nur Mühe geben, daraus etwas zu folgern; doch hier kommt der Vater den Berg herauf; willst du, daß es ihm verborgen bleibe, so nimm dich zusammen und verrate dich nicht. Ich gehe jetzt, denn es ist nicht gut, wenn er uns beisammen antrifft.“

Georg gelobte es; er umarmte noch einmal die Geliebte und versah sich von ihrem süßen Mund auf viele Stunden, um wenigstens an der Erinnerung sich zu erfreuen, wenn die Gegenwart des Vaters jede zärtlichere Annäherung unmöglich machte. Der Hund des Herrn U – sah verwundert auf die liebliche Gruppe; doch, sei es, daß er wirklich Menschenverstand hatte, oder daß er bei seinem Herrn schon Ähnliches erlebt hatte und einsah, daß der Junker das Fräulein nicht umbringen wolle, er machte keine Miene, seiner Dame zu Hülfe zu kommen, und erst der Hufschlag, der von der Brücke heraufscholl, schreckte die Errötende aus den Armen des glücklichen Jünglings.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 266–267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)