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Eine geraume Weile wagte niemand das Schweigen zu brechen. Man hörte nur die tiefen Atemzüge des Herzogs und das Winseln seines treuen Hundes, der sein Unglück zu kennen und zu teilen schien. Endlich winkte Lichtenstein dem Ritter von Schweinsberg, sie traten zu Ulerich, sie faßten sein Gewand und schienen ihn erwecken zu wollen; er blieb unbeweglich und stumm. Marie hatte weinend in der Ferne gestanden, sie nahte sich jetzt mit unsicheren, zagenden Schritten, sie legte ihre schöne Hand auf seine Schulter, sie blickte ihn bange an, sie faßte sich endlich ein Herz und flüsterte: „Herr Herzog! hie ist noch gut Württemberg alleweg!“

Ein tiefer Seufzer löste sich aus seiner gepreßten Brust, aber seine Hände drückten sich fester auf die Augen, er sah nicht auf. Jetzt nahte auch Georg. Unwillkürlich kam ihm der heldenmütige Ausdruck dieses Mannes in die Seele, jene gebietende Erhabenheit, die er ihm, als er ihn zum erstenmal gesehen, gezeigt hatte; jedes Wort, das er damals gesprochen, kehrte wieder, und der junge Mann wagte es, zu ihm zu sprechen: „Warum so kleinmütig, Mann ohne Namen?

Si fractus illabatur orbis,
Impavidum ferient ruinae!“

Wie ein Zauber wirkten diese Worte auf Ulerich von Württemberg. Sei es dieser sein Wahlspruch, sei es jene Mischung von Seelengröße, Trotz und wahrer Erhabenheit über das Unglück, was ihm bei seinen Zeitgenossen den Namen „des Unerschrockenen“ erwarb, – er zeigte sich von diesem Augenblick an seines Namens würdig.

„Das war das rechte Wort, mein junger Freund“, sprach er zur Verwunderung aller mit fester Stimme, indem er seine Hände sinken ließ, sein Haupt stolzer aufrichtete und das alte, kriegerische Feuer aus seinen Augen loderte; „das war das rechte Wort. Ich danke dir, daß du mir es zugerufen. Tretet vor, Marx Stumpf, Ritter von Schweinsberg, und berichtet mir über Eure Sendung. Doch reiche mir zuvor einen Becher, Marie!“

„Es war letzten Donnerstag, daß ich Euch verließ“, hob der Ritter an; „Hans steckte mich in diese Kleidung und zeigte mir, [283] wie ich mich zu benehmen habe. In Pfullingen kehrte ich ein, um zu probieren, ob man mich nicht kenne, aber die Wirtin gab mir so gleichgültig einen Schoppen, als habe sie den Ritter Stumpf in ihrem Leben nicht gesehen, und ein Ratsherr, den ich noch vor acht Tagen tüchtig ausgescholten hatte, trank mit mir, als hätte ich zeitlebens den Kram auf dem Rücken getragen. Der junge Herr dort war auch in der Schenke.“

Der Herzog schien sich an dieser Erzählung zu zerstreuen; munterer, als man bei so großem Unglück hätte denken sollen, fragte er: „Nun Georg, du hast ihn gesehen; sah er so recht aus wie ein schäbiger, filziger Krämer? Wie?“

„Ich denke, er hat seine Rolle gut gespielt“, antwortete der junge Mann lächelnd.

„Von Pfullingen zog ich abends noch fürbaß bis nach Reutlingen. Dort war in der Weinstube ein ganzer Trieb Bündischer: Augsburger, Nürnberger, Ulmer, alle mögliche Städtler, und jubelierten mit den Reutlingern, daß man die Hirschgeweihen wieder von ihrem Wappen genommen, die Ihr ihnen aufgesetzt habt[Hauff 1]. Sie schimpften und sangen Spottlieder über Euch, die bewiesen, wie sehr sie Euch noch immer fürchten. Am Karfreitag früh ging ich nach Tübingen. Das Herz pochte mir, als ich das Burgholz herunterkam und das schöne Neckarthal vor meinen Blicken lag, und die festen Türme und Zinnen von Tübingen vom Berg herüberragten.“

Der Herzog preßte die Lippen zusammen, wandte sich ab und sah hinaus ins Weite. Der von Schweinsberg hielt inne und blickte teilnehmend auf seinen Herrn, doch jener winkte ihm, fortzufahren.

„Ich stieg hinab ins Thal und wandelte weiter nach Tübingen. Die Stadt war schon seit vielen Tagen von den Bündischen besetzt, und nur wenige Truppen standen mehr im Lager, das sie über dem Ammerthal auf dem Berge geschlagen hatten. Ich beschloß, mich in die Stadt zu schleichen und hinzuhorchen, wie es mit dem Schloß stehe, ehe denn ich auf dem geheimen Wege zur Besatzung ginge. Ihr kennet die Herberge in der oberen Stadt, nicht weit von Sankt Georgenkirche, dort trat ich ein und setzte

Anmerkungen (Hauff)

  1. [299] Drei Hirschgeweihe, wovon die zwei obersten vier, das untere aber drei Enden hat, sind das alte Wappen von Württemberg.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 282–283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_164.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)