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mich zum Weine. Die bündischen Ritter, so erfuhr ich unterweges, kehrten oft dort ein, daher schien mir dies der beste Platz zu meinem Zweck.“

„Ihr wagtet viel“, unterbrach ihn Herr von Lichtenstein; „wie leicht konnten Leute da sein, die Euch abkaufen wollten, und da wäre der Krämer bald entdeckt gewesen!“

„Ihr vergeßt, daß es Festtag war“, entgegnete jener; „ich hatte also guten Grund, mein Bündel nicht aufzupacken und anzupreisen nach Krämersitte. Doch so leicht wäre ich wohl nicht entdeckt worden, habe ich doch an Georg von Frondsberg ein Büchslein mit Wundbalsam verkauft! Weiß Gott, ich hätte lieber mit ihm gestritten, daß er es gleich hätte brauchen können. – Es war noch das Hochamt in der Kirche, daher war niemand in der Herberge; vom Wirt aber erfuhr ich, daß die Ritter im Schloß einen Waffenstillstand bis Ostermontag früh gemacht haben. Als die Kirche aus war, kamen richtig, wie ich mir gedacht hatte, viele Ritter und Herren in die Herberge zum Frühtrunk. Ich setzte mich in einen Winkel auf die Ofenbank, wie es armen Leuten geziemt in Gegenwart so großer Herren.“

„Wen sahst du dort?“ fragte der Herzog.

„Ich kannte einige, andere erriet ich aus dem Gespräch, das sie führten. Es war Frondsberg, Alban von Closen, die Huttischen, Sickingen und noch viele; bald trat auch der Truchseß von Waldburg ein. Ich zog die Kappe tiefer ins Gesicht, als ich ihn sah, denn er wird noch nicht vergessen haben, wie ich ihn vor fünfzehn Jahren im Lanzenstechen zu Nürnberg von der Mähre warf.“

„Saht Ihr nicht auch den Hauptmann Hans von Breitenstein?“ unterbrach ihn Georg.

„Breitenstein? daß ich nicht wüßte, doch ja, so hieß wohl jener, der den Hammelschlegel auf einem Sitz verzehrte! Jetzt fingen sie an, von der Belagerung zu reden und vom Waffenstillstand. Sie sprachen hin und her, oft flüsterten sie auch untereinander, doch ich habe gute Ohren und vernahm, was mir nicht lieb war. Der Truchseß nämlich erzählte, daß er einen Pfeil in die Burg habe schießen lassen, mit einem Brieflein an Ludwig von Stadion[1]. [285] Es muß dies schon mehrere Mal geschehen sein, denn die Ritter verwunderten sich nicht, als er weiter fortfuhr und sagte, wie er auf demselben Weg eine Antwort erhalten habe.“

Des Herzogs Stirne verfinsterte sich. „Ludwig von Stadion!“ rief er schmerzlich. „Ich hätte Häuser auf ihn gebaut! Er war mir so lieb, ich that ihm alles, was ich ihm an den Augen ansehen konnte – er hat mich zuerst verraten?!“

„Im Brieflein stand, daß er, der Stadion, und noch zwölf andere der Fehde müde seien, auch schon halb und halb willens gewesen; Georg von Hewen[2] aber habe ihnen abgeraten.“

„Um den hab’ ich’s nicht verdient“, sagte Ulerich; „ich war ihm gram, weil er mich oft getadelt hat, wenn ich nicht nach seinem Sinne that. Wie man sich irren kann in den Menschen. Hätte man mich gefragt, wer mich verraten würde und wer dagegen spreche, ich hätte dort den Stadion, hier vielleicht Georg von Hewen genannt!“

„Im Brieflein stand auch noch weiter, daß Euer Durchlaucht vielleicht Entsatz bringen; oder, wenn dies nicht möglich, auf geheimen Wegen in die Burg sich begeben wollen. Die Bündischen sprachen mancherlei hierüber. Sie waren aber darin einig, daß man die Besatzung zu einem Vergleich bringen müsse, ehe Ihr heranrücket oder gar ins Schloß kämet. Denn dann, meinten sie, können sie noch lange belagern müssen. Wie ich nun dies alles hörte, schien es mir nicht geraten, durch den geheimen Weg geradezu in die Burg zu gehen und mich zu entdecken, denn wie leicht konnte Stadion schon die Oberhand gewonnen haben, und dann war ich verraten. Ich beschloß, den Tag noch zu warten; hörte ich bis Samstag früh nichts Schlimmeres über die Besatzung, so wollte ich ins Schloß dringen und Euer Durchlaucht Schreiben übergeben. Ich streifte im Lager und in der Stadt umher, und niemand hielt mich an; auch suchte ich mich immer in der Nähe der Obersten zu halten; so kam der Nachmittag.“


  1. Ludwig von Stadion war der Oberhauptmann von Ulrichs Heer
  2. Freiherr Georg von Hewen (oder Höwen) und Marx Stumpf von Schweinsberg waren bei der Belagerung von Tübingen unter 40 Edlen die einzigen, die am Herzog nicht zu Verrätern wurden.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 284–285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_165.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)