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„Das war noch Freitags, an dem Fest?“ fragte Lichtenstein.

„Am heiligen Freitag war’s. Nachmittags um drei Uhr ritt Georg von Frondsberg mit etlichen andern Hauptleuten vor die Stadtpforte an dem Schloß und schrie hinauf, ob sie im Schlosse bauen? Ich stand nicht weit davon und sah, wie Stadion auf den Wall kam und antwortete: ‚Nein; denn es wäre wider den Pakt des Stillstandes; aber ich sehe, daß Ihr im Feld bauet.‘ Georg von Frondsberg rief: ‚So es geschehen, ist es ohne meinen Befehl geschehen; wer bist du?‘ Da antwortete der im Schloß: ‚Ich bin Ludwig von Stadion.‘ Drauf lächelte der Bündische und strich sich den Bart. ‚Ist’s also wie du sagst‘, rief er, ‚so will ich’s wenden‘, ritt zu ein paar Schanzkörben und warf sie um. Dann rief er dem Stadion zu, mit einigen Rittern herabzukommen und miteinander einen Trunk zu thun[Hauff 1].“

„Und sie kamen?“ rief der Herzog; „die Ehrvergessenen kamen?“

„Auf dem Schloßberg vor dem äußersten Graben ist ein Platz, dort sieht man weit ins Land; hinab ins Neckarthal, hinauf die Steinlach, hinüber an die Alb und Zollern, und viele Burgen schmücken die Aussicht. Dorthin ließen sie einen Tisch bringen und Bänke, und die Bundesobersten setzten sich zum Wein. Dann ging das Thor von Hohen-Tübingen auf, die Brücke fiel über den Graben, und Ludwig von Stadion mit noch sechs andern kamen über die Brücke; sie brachten Eure silbernen Deckelkrüge, sie brachten Eure goldenen Becher und Euren alten Wein, sie grüßten die Feinde mit Gruß und Handschlag und setzten sich, besprachen sich mit ihnen beim kühlen Wein.“

„Der Teufel gesegne es ihnen allen!“ unterbrach ihn der Ritter vom Lichtenstein und schüttete seinen Becher aus. Der Herzog aber lächelte schmerzlich und gab Marx Stumpf einen Wink, fortzufahren.

„So thaten sie sich gütlich bis in die Nacht und zechten, bis sie rote Köpfe bekamen und taumelten; ich stand nicht ferne, und keine ihrer verräterischen Reden entging mir. Als sie aufbrachen, nahm der Truchseß den Stadion bei der Hand; ‚Herr Bruder‘, sagte er, ‚in Eurem Keller ist ein guter Wein, lasset uns bald ein, [287] daß wir ihn trinken.‘ Jener aber lachte darüber, schüttelte ihm die Hand und sagte: ‚Kommt Zeit, kommt Rat.‘ Wie ich nun sah, daß die Sachen also stehen, beschloß ich, mit Gott mein Leben dran zu setzen und in die Burg zu den Verrätern zu gehen. Ich ging hinaus bis in die Grafenhalde, wo der kleinere, unterirdische Gang beginnt. Ungesehen stieg ich hinab und drang bis in die Mitte. Dort hatten sie das Fallgatter herabgelassen und einen Knecht hingestellt; er legte an auf mich, als er mich durch die Finsternis kommen hörte, und fragte nach der Losung. Ich sprach, wie Ihr befohlen, das Losungswort Eures tapfern Ahnherrn Eberhards im Bart ‚Atempto‘; der Kerl machte große Augen, zog aber das Gatter auf und ließ mich durch. Jetzt ging ich schnellen Schrittes weiter vor und kam heraus im Keller. Ich schöpfte einige Augenblicke Luft, denn der Atem war mir schier ausgeblieben in dem engen Gang.“

„Armer Marx! geh, trinke einen Becher, das Reden wird dir schwer“, sagte Ulerich; willig befolgte jener das gütige Geheiß seines Fürsten und sprach dann mit frischer Stimme weiter:

„Im Keller hörte ich viele Stimmen, und es war mir, als zanke man sich. Ich ging den Stimmen nach und sah eine ganze Schar der Besatzung vor dem großen Faß sitzen und trinken. Es waren einige von Stadions Partei und Hewen und mehrere der Seinigen. Sie hatten Lampen aufgestellt und große Humpen vor sich; es sah schauerlich aus, fast wie das Femgericht. Ich barg mich in ihrer Nähe hinter ein Faß und hörte, was sie sprachen. Georg von Hewen sprach mit rührenden Worten zu ihnen und stellte ihnen ihre Untreue vor; er sagte, wie sie ja gar nicht nötig haben, sich zu ergeben, wie sie auf lange mit Vorräten versehen seien, wie Euer Durchlaucht ein Heer sammeln werden, Tübingen zu entsetzen, wie eher die Belagerer in Not kommen, als sie.“

„Ha! wackerer Hewen! und was gaben sie zur Antwort?“

„Sie lachten und tranken; ‚Da hat es gute Weile, bis der ein Heer sammelt! wo das Geld hernehmen und nicht stehlen?‘ sagte einer. Hewen aber fuhr fort und sagte, wenn es auch nicht sobald möglich sei, so müssen sie sich doch halten bis auf den letzten Mann, wie sie Euch zugeschworen, sonst handeln sie als Verräter

Anmerkungen (Hauff)

  1. [299] „Der Tüfell gsegen jn allen“, sind die Worte des Chronisten Stumphardt, die ihm unwillkürlich entschlüpfen, indem er die Unterhandlung der Ritter „bei’m kielen Wein“ beschreibt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 286–287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_166.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)