Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 169.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

was seinen Mienen einen Ausdruck von Milde gab, den sie nie an ihm gekannt hatten.

„Marx! wie verfahren sie gegen das Landvolk?“ fragte er.

„Wie Räuber“, antwortete dieser; „sie verwüsten ohne Not die Weinberge, sie hauen die Obstbäume nieder und verbrennen sie am Wachtfeuer, Sickingens Reiter traben durch das Saatfeld und treten nieder, was die Pferde nicht fressen. Sie mißhandeln die Weiber und pressen den Männern das Geld ab. Schon jetzt murrt das Volk allerorten, und lasset erst den Sommer kommen und den Herbst! Wenn aus den zerstampften Fluren kein Korn aufgeht, wenn auf den verwüsteten Bergen keine Weinbeere wächst, wenn sie erst noch die ungeheure Kriegssteuer, die der Bundesrat umlegen wird, bezahlen müssen, – da wird das Elend erst recht angehen.“

„Die Buben!“ rief der Herzog, und ein edler Zorn sprühte aus seinen Augen; „sie rühmten sich mit großen Worten, sie kämen, um Württemberg von seinem Tyrannen zu befreien, es zu entheben aller Not. Und sie hausen im Lande wie im Türkenkrieg. Aber ich schwöre es, so mir Gott eine fröhliche Urständ[1] gebe und seine Heiligen gnädig sein wollen meiner Seele, wenn keine Saat aufgeht in den verwüsteten Thälern des Neckars und auf seinen Höhen keine Traube reift, ich will kommen und mähen und Garben schneiden – in ihren Gliedern, ich will kommen mit schrecklichen Winzern, will sie treten und keltern und ihr Blut verzapfen. Ich will rächen, was sie an mir und meinem Land gethan, so mir der Herr helfe.“

„Amen!“ sprach der Ritter vom Lichtenstein. „Aber ehe Ihr hereinkommt, müßt Ihr auf gute Art hinaus sein aus dem Land. Es ist keine Zeit zu verlieren, wenn Ihr ungefährdet entkommen wollet.“

Der Herzog sann eine Weile nach und antwortete dann: „Ihr habt recht, ich will nach Mömpelgard; von dort aus will ich sehen, ob ich so viele Mannschaft an mich ziehen kann, um einen Einfall in das Land zu wagen. Komm her, du treuer Hund, du [293] wirst mir folgen ins Elend der Verbannung. Du weißt nicht, was es heißt, die Treue brechen und den Eid vergessen.“

„Hier steht noch einer, der dies auch nicht kennt“, sagte Schweinsberg und trat näher zu dem Herzog. „Ich will mit Euch ziehen nach Mömpelgard, wenn Ihr meine Begleitung nicht verschmähet.“

Aus den Augen des alten Lichtenstein blitzte ein kriegerisches Feuer. „Nehmt auch mich mit Euch, Herr!“ sagte er. „Meine Knochen taugen freilich nicht mehr viel, aber meine Stimme ist noch vernehmlich im Rat.“

Marie sah mit leuchtenden Blicken auf den Geliebten, über die Wangen Georgs von Sturmfeder zog ein glühendes Rot, sein Auge leuchtete vom Mut der Begeisterung. „Herr Herzog!“ sagte er. „Ich habe Euch meinen Beistand angetragen in jener Höhle, als ich nicht wußte, wer Ihr wäret, Ihr habt ihn nicht verschmäht. Meine Stimme gilt nicht viel im Rat, aber könnet Ihr ein Herz brauchen, das recht treu für Euch schlägt, ein Auge, das für Euch wacht, wenn Ihr schlafet, und einen Arm, der die Feinde von Euch abwehrt, so nehmt mich auf und lasset mich mit Euch ziehen!“

Alle jene Empfindungen, die ihn zu dem Mann ohne Namen gezogen hatten, loderten in dem Jüngling auf, sein Unglück und die erhabene Art, wie er es trug, vielleicht auch jener aufmunternde Blick der Geliebten, erhöhten diese Flammen zur Begeisterung und zogen ihn zu den Füßen des Herzogs ohne Land.

Der alte Herr von Lichtenstein blickte mit stolzer Freude auf seinen jungen Gast, gerührt sah ihn der Herzog an und bot ihm seine Hand, hob ihn auf von den Knieen und küßte ihn auf die Stirne.

„Wo solche Herzen für uns schlagen“, sagte er, „da haben wir noch feste Burgen und Wälle und sind noch nicht arm zu nennen. Du bist mir lieb und wert, Georg von Sturmfeder, du wirst mich begleiten, mit Freuden nehme ich deine treuen Dienste an. Marx Stumpf von Schweinsberg; dich brauche ich zu wichtigerem Geschäft als meinen Leib zu decken. Ich werde dir Aufträge geben nach Hohentwiel und der Schweiz; Eure Begleitung,


  1. Auferstehung.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 292–293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_169.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)