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Dritter Teil.




I.


 „In Schwaben, wo dein Vater Herzog war,
 Wo ihn und dich ein biederes Volk geliebt,
 Wo mancher jetzt auf seiner Feste haust,
 Der unter deinem Banner einst gekämpft,
 Dort muß von dir noch ein Gedächtnis sein,
 Dorthin sei unser irrer Pfad gelenkt,
 Des Schwarzwalds dichter Schatten nehm’ uns auf.“
 L. Uhland.[1]


Wohl nie so schwül hat ein Sommer über Württemberg gelegen als der des Jahres 1519. Das ganze Land hatte dem Bunde gehuldiget und meinte, es werde jetzt Ruhe haben. Aber jetzt erst zeigten die Bundesglieder deutlich, daß es nicht die Wiedereinnahme von Reutlingen gewesen sei, was sie zusammenführte. Sie wollten bezahlt sein, sie wollten Entschädigung haben für ihre Mühe. Die einen wollten, man solle Württemberg unter sie teilen, die andern, man solle es an Östreich verkaufen, die dritten wollten es Ulerichs Kindern erhalten – aber unter des Bundes Obervormundschaft. Sie stritten sich um den Besitz des Landes, auf das weder der eine noch der andere gerechte Ansprüche machen konnte. Das Land selbst war in Spaltung und Parteien. Es sollte die Kriegskosten decken, und doch war niemand da, der zahlen wollte. Die Ritterschaft hielt es für eine erwünschte Gelegenheit, sich ganz vom Lande loszusagen und sich für unabhängig zu erklären. Die Bürger und Bauern waren ausgesogen, ihre Felder waren verwüstet und zertreten, sie sahen nirgends eine Aussicht, [301] sich zu erholen; die Geistlichkeit wollte auch nicht allein bezahlen, und so war alles in Hader und Streit. Es ging auch vielen tief zu Herzen, daß ihr angeborner Fürst so schnöde behandelt worden war; manchen kam jetzt, da der Herzog fern von dem Lande seiner Väter in Verbannung hauste, Reue und Sehnsucht an. Sie verglichen sein Regiment mit dem jetzigen; es war nicht besser, wohl aber schlimmer geworden. Aber sie lebten unter zu hartem Zwang, als daß sie ihre Schmerzen hätten offenbaren können.

Der Regentschaft des Bundes entging diese Unzufriedenheit des Volkes nicht; sie mußte, wie sich in alten Berichten findet, „manche seltsame und böse Rede“ hören. Sie suchten durch geschärfte Strenge sich Anhänglichkeit zu erwerben; sie streuten Lügen über den Herzog aus[Hauff 1]. Man gebot den Priestern, gegen ihn zu predigen, wer von ihm Gutes rede, soll gefangen werden, wer ihn heimlich unterstütze, soll der Augen beraubt, sogar enthauptet werden.

Aber Ulerich hatte noch treue Leute unter dem Landvolk, die ihm auf geheimen Wegen Kunde brachten, wie es in Württemberg stehe. Er saß in seiner Grafschaft Mömpelgard und harrte dort mit den Männern, die ihm ins Unglück gefolgt waren, auf günstige Gelegenheit, in sein Land zu kommen. Er schrieb an viele Fürsten, er beschwor sie, ihm zu Hülfe zu kommen; aber keiner nahm sich seiner sehr thätig an. Er schrieb an die zur neuen Kaiserwahl versammelten Kurfürsten, sie halfen nicht; das einzige, was sie thaten, war, dem neuen Kaiser in seiner Kapitulation eine Klausel anzuhängen, die Württemberg und den Herzog betraf – er hat sie nicht geachtet. Als sich der Herzog von aller Welt also verlassen sah, wankte er dennoch nicht, sondern setzte alles daran, sein Land mit eigener Macht wiederzuerobern. Es waren einige Umstände, die für ihn sehr günstig schienen. Der Bund hatte nämlich, als er Kunde bekam, daß sich niemand des Vertriebenen annehmen wolle, seine Völker entlassen. Die meisten Städte und Burgen behielten nur sehr schwache Besatzungen, und selbst in Stuttgart waren nur wenige Fähnlein Knechte gelassen worden.


  1. „Ernst, Herzog von Schwaben“. 2. Aufzug, gegen Ende.

Anmerkungen (Hauff)

  1. [433] Herzog Ulerich beklagt sich wiederholt, namentlich in diesem Zeitpunkt, daß seine Gegner so viele Lügen gegen ihn ausstreuen. Er verteidigt sich darüber besonders in seinen Briefen an die schweizerische Eidgenossenschaft. So streuten seine Feinde im Jahr 1519 aus, er habe einen Edelknaben, Wilhelm von Janowiz, entzweigehauen. Doch Janowiz lebte noch im Jahr 1562 und war Anno 1550 Kommandant der Feste Asperg. Aber jene Lüge machte damals großes Aufsehen; daher kam es, daß ein Schweizer, dem man diesen Mann zeigte und sagte, was die Feinde des Herzogs von ihm ausgestreut haben, antwortete: „Er muß nochten ein guter Barbier gsyn syn, der den Knaben so suber gehailt hat.“ (Sattler II, § 24.)
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 300–301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_173.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)