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sah man einen langen, hageren Mann auf eine Bank am Brunnen springen, wo er die ganze Menge überragte. Er focht mit ungeheuer langen Armen in der Luft umher, that einen weiten Mund auf und schrie mit heiserer Stimme um Gehör. Es wurde nach und nach stiller auf dem Platz, man vernahm einzelne Worte aus seiner Rede: „Was? die ehrsamen Bürger von Stuttgart wollen ihren Eid brechen – habt ihr nicht dem Bunde geschworen? Wem wollet ihr die Thore öffnen? Dem Herzog? Er kommt mit ganz geringer Mannschaft, denn er hat ja kein Geld, um Leute zu bezahlen, und da müsset dann ihr wieder den Beutel aufthun und blechen! Da wird’s heißen, Stuttgart zahlt zehntausend Gulden, weil es von uns abgefallen ist. Hört ihr? Zehntausend Gulden sollt ihr zahlen!“

„Wer ist denn der lange Kerl?“ fragten sich die Männer. – „Er hat nicht unrecht – werden tüchtig zahlen müssen. – Ist er ein Bürger, der da oben? Wer seid Ihr“, rief einer der kühnsten; „woher wollt Ihr wissen, was wir zahlen müssen?“

„Ich bin der berühmte Doktor Calmus“, sprach der Redner mit feierlicher Stimme, „und weiß das ganz genau. Und wen wollt ihr vertreiben? Den Kaiser, das Reich, den Bund? So viele reiche Herren wollt ihr vor den Kopf stoßen? Und warum? Wegen dem Utz, der euch das Fell über die Ohren zieht; denkt nur an das geringere Gewicht, an die harten Jagdfrevel. Jetzt hat er gar kein Geld mehr; er ist ein Lump, hat alles verspielt in Mömpelgard –“

„Halt Er sein Maul“, schrieen die Bürger, „was geht das Ihn an, Er ist kein hiesiger Bürger, fort mit dem Kahlmäuser – schlagt ihn tot – werft ihn als Fisch in den Brunnen – der Herzog soll leben!“

Doktor Calmus erhob noch einmal seine Stimme, aber die Bürger überschrieen ihn. In diesem Augenblick kam ein neuer Trupp Bürger aus der obern Vorstadt herabgesprungen. „Der Herzog ist vor dem Rothenbildthor“, riefen sie, „mit Reiter- und Fußvolk. Wo ist der Statthalter? Wo sind die Bundesräte? Er will in die Stadt schießen, wenn man nicht aufmacht! – Fort mit den Bündischen – wer ist gut württembergisch?“

[327] Der Tumult wuchs von Sekunde zu Sekunde. Die Bürger schienen noch unschlüssig, da bestieg ein neuer Redner die Bank; es war ein feiner Herr, der durch sein schmuckes Äußere einen Augenblick den Bürgern imponierte: „Bedenket ihr Männer“, rief er mit feiner Stimme, „was wird der durchlauchtige Bundesrat dazu sagen, wenn ihr –“

„Was scheren wir uns um den Durchlauchtigen!“ überschrie man ihn, „fort! reißt ihn herab mit dem rosenfarbenen Mäntelein und dem glatten Haar – das ist ein Ulmer! fort mit ihm – auf ihn, er ist von Ulm!“

Aber ehe sie noch diesen Entschluß ausführten, trat ein kräftiger Mann hinauf, warf mit einem Schlag den Doktor rechts und den Ulmer mit dem rosenfarbenen Mäntelein links von der Bank und winkte mit der Mütze in die Luft. „Still! das ist der Hartmann“, flüsterten die Bürger, „der versteht’s, hört, was er spricht.“

„Höret mich!“ sprach dieser; „der Statthalter und die Bundesräte sind nirgends zu finden, sie sind entflohen und haben uns im Stich gelassen, drum greifet diese beiden da, wir wollen sie als Geiseln behalten. Und jetzt hinauf ans Rothebildthor. Dort steht unser rechter Herzog, ’s ist besser, wir machen selbst auf, als daß er mit Gewalt eindringt, wer ein guter Württemberger ist, folgt mir nach.“

Er stieg herab von der Bank, und jubelnd umgab ihn die Menge; die beiden Fürsprecher des Bundes wurden, ehe sie sich dessen versahen, gebunden und fortgeführt. Jetzt ergoß sich der Strom der Bürger vom Marktplatz zum obern Thor, hinaus über den breiten Graben der alten Stadt in die Turnieracker-Vorstadt, am Bollwerk vorüber zum Rothenbildthor. Die bündischen Knechte, die das Thor besetzt hielten, wurden schnell übermannt, das Thor ging auf, die Zugbrücke fiel herab und legte sich über den Stadtgraben.

Dort hatten indessen die Anführer des Fußvolkes ihre besten Truppen aufgestellt, denn man wußte nicht genau, wie die Bündischen sich bei der Annäherung des Herzogs benehmen werden. Ulerich selbst hatte die Posten beritten. Vergeblich suchte Georg

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 326–327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_186.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)