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„Georg!“ sagte dieser ernst, „wir haben lange Geduld gehabt, dich anzuhören. Es hilft deinem Freunde doch nichts. Hier liegt das Protokoll; der Kanzler hat, ehe ich kam, ein Zeugenverhör angestellt, worin alles sonnenklar bewiesen ist. Wir müssen ein Exempel statuieren! Wir müssen unsere Feinde recht ins Herz hinein verwunden, der Kanzler hat ganz recht; darum kann ich keine Gnade geben.“

„So erlaubt mir nur noch eine Frage an ihn und die Zeugen, nur ein paar Worte.“

„Ist gegen alle Form Rechtens“, fiel der Kanzler ein; „ich muß dagegen protestieren, Lieber; es ist ein Eingriff in mein Amt.“

„Laß ihn, Ambrosius; mag er meinetwegen noch ein paar Fragen an den armen Sünder thun, er ist doch verloren.“

„Dieterich von Kraft“, fragte Georg, „wie kommt Ihr hieher?“

Der arme Ratsschreiber, den der Tod schon an der Kehle gefaßt hatte, verdrehte die Augen, und seine Zähne schlugen aneinander; endlich konnte er einige Worte herausstoßen: „Bin hieher geschickt worden vom Rat, wurde Schreiber beim Statthalter –“

„Wie kamet Ihr gestern nacht zu den Bürgern von Stuttgart?“

„Der Statthalter befahl mir abends, wenn etwa die Bürger sich aufrührerisch zeigten, sie anzureden und zu ihrer Pflicht und Eid zu verweisen.“

„Ihr sehet, er kam also auf höheren Befehl dorthin; wer nahm Euch gefangen?“ fuhr Georg zu fragen fort.

„Der Mann, der neben Euch steht.“

„Ihr habt diesen Herrn gefangen? also müßt Ihr auch gehört haben, was er sprach? Was sagte er denn?“

„Ja, was wird er gesagt haben“, antwortete der Bürger, „er hat keine sechs Worte gesprochen, so warf ihn der Bürgermeister Hartmann von der Bank herunter; ich weiß noch, er hat gesagt: ‚Aber bedenket, ihr Leute, was wird der durchlauchtigste Bundesrat dazu sagen!‘ Das war alles, da nahm ihn der Hartmann beim Kragen und warf ihn herunter. Aber dort der Doktor Calmus, der hielt eine längere Rede.“

Der Herzog lachte, daß das Gemach dröhnte und sah bald Georg, bald den Kanzler an, der ganz bleich und verstört sich umsonst [343] bemühte, sein Lächeln beizubehalten. „Das war also die gefährliche Rede, das Majestätsverbrechen? Was wird der Bundesrat dazu sagen! Armer Kraft! wegen dieses kraftvollen Sprüchleins verfielst du beinahe dem Scharfrichter. Nun, das haben selbst unsere Freunde oft gesagt: ‚Was werden die Herren sagen, wenn sie hören, der Herzog ist im Land.‘ Deswegen soll er nicht bestraft werden. Was sagst du dazu, Sturmfeder!“

„Ich weiß nicht, was Ihr für Gründe habt, Herr Kanzler“, sagte der Jüngling, indem sein Auge noch immer von Unmut strahlte, „die Sachen so auf die Spitze zu stellen und dem Herrn Herzog zu Maßregeln zu raten, die ihn überall – ja, ich sage es, die ihn überall als einen Tyrannen ausschreien müssen. Wenn es nur Diensteifer ist, so habt Ihr diesmal schlecht gedient.“

Der Kanzler schwieg und warf nur einen grimmigen, stechenden Blick aus den grünen Äuglein auf den jungen Mann. Der Herzog aber stund auf und sprach: „Laß mir mein Kanzlerlein gehen, diesmal freilich war er zu strenge. Da – nimm deinen rosenroten Freund mit dir; gib ihm zu trinken auf die Todesangst, und dann mag er laufen, wohin er will. Und du Hund von einem Doktor, der du zu schlecht zu einem Hundedoktor bist, für dich ist ein württembergischer Galgen noch zu gut. Gehängt wirst du doch noch einmal, ich will mir die Mühe nicht geben. Langer Peter! nimm diesen Burschen, binde ihn rückwärts auf einen Esel und führe ihn durch die Stadt; und dann soll man ihn nach Eßlingen führen – zu den hochweisen Räten, wo er und sein Tier hingehört. Fort mit ihm.“

Die Züge des Doktor Kahlmäuser, in welchen schon der Tod gesessen war, heiterten sich auf; er holte freier Atem und verbeugte sich tief. Peter, Kasperle und der Magdeburger fielen mit grimmiger Freude über ihn her, luden ihn auf ihre breiten Schultern und trugen ihn weg.

Der Ratsschreiber von Ulm vergoß Thränen der Rührung und Freude; er wollte dem Herzog den Mantel küssen, doch dieser wandte sich ab und winkte Georg, den Gerührten zu entfernen.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 342–343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_194.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)