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V.


 „O thu’ es nicht! Thu’s nicht!
 Sieh’! Deine reinen edlen Züge wissen
 Noch nichts von dieser unglücksel’gen That.
 Bloß deine Einbildungskraft befleckt sie;
 Die Unschuld will sich nicht vertreiben lassen
 Aus deiner hoheit-blickenden Gestalt.“
 Schiller.[1]


Der Schreiber des Großen Rates schien noch nicht Fassung genug erlangt zu haben, um auf dem Weg durch die Gänge und Galerien des Schlosses die vielen Fragen seines Erretters zu beantworten. Er zitterte noch an allen Gliedern, seine Kniee wankten, und oft drehte er sich um und schaute mit verwirrten Blicken hinter sich, als fürchte er, den Herzog möchte seine Gnade gereuen, und der greuliche Kanzler im gelben Mantel möchte ihm nachschleichen und ihn plötzlich am Genick packen. Auf Georgs Zimmer angekommen, sank er erschöpft auf einen Stuhl, und es verging noch eine gute Weile, ehe er geordnet zu denken und zu antworten vermochte.

„Eure Politika, Vetter, hat Euch einen schlimmen Streich gespielt“, sagte Georg; „was fällt Euch aber auch ein, in Stuttgart als Volksredner auftreten zu wollen? Wie konntet Ihr überhaupt nur Eure bequeme Haushaltung, die sorgsame Pflege der Amme und die Nähe der holden Bertha fliehen, um hier dem Statthalter zu dienen?“

„Ach! sie ist es ja gerade, die mich in den Tod geschickt hat. Bertha ist an allem schuld; ach, daß ich nie mein Ulm verlassen hätte! Mit dem ersten Schritte über unsere Markung fing mein Jammer an.“

„Bertha hat Euch fortgeschickt?“ fragte Georg; „wie, seid Ihr nicht zum Ziele Eurer Bemühungen gelangt? Sie hat Euch abgewiesen, und aus Verzweiflung seid Ihr –“

„Gott behüt’; Bertha ist so gut als meine Braut. Ach, das ist gerade der Jammer! Wie Ihr von Ulm abgezogen waret, bekam ich Händel mit Frau Sabina, der Amme; da entschloß ich [345] mich und hielt bei meinem Oheim um das Bäschen an. Nun habt Ihr aber dem Mädchen durch Euer kriegerisches Wesen gänzlich den Kopf verrückt. Sie wollte, ich solle vorher zu Feld ziehen und ein Mann werden wie Ihr. – Dann wolle sie mich heiraten. Ach, du gerechter Gott!“

„Und da seid Ihr förmlich zu Feld gezogen gegen Württemberg? Welche kühne Gedanken das Mädchen hat!“

„Bin zu Feld gezogen; die Strapazen vergesse ich in meinem Leben nicht! Mein alter Johann und ich rückten mit dem Bundesheer aus. Das war ein Jammer! Mußten oft täglich acht Stunden reiten. Die Kleider kamen in Unordnung, alles wurde bestaubt und unsauber, der Panzer drückte mich wund; ich hielt es nicht mehr aus, und Johann lief heim nach Ulm; da bat ich um eine Stelle bei der Feldschreiberei, mietete mir eine Sänfte und zwei tüchtige Saumrosse dazu, und so ging es doch erträglicher.“

„Da wurdet Ihr also zu Feld getragen (wie der Hund zum Jagen). Habt Ihr auch einem Treffen beigewohnt?“

„O ja; bei Tübingen kam ich hart ins Gedränge. Keine zwanzig Schritte von mir wurde einer maustot geschossen. Ich vergesse den Schrecken nicht, und wenn ich achtzig Jahr alt werde! Als wir dann das Land völlig besiegt hatten, bekam ich die ehrenvolle Stelle beim Statthalter. Wir lebten ruhig und in Frieden; da kommt auf einmal wieder der unruhige Herr ins Land; ach, daß ich meinem Kopf gefolgt und mit den Bundesobersten nach Nördlingen auf den Bundestag gezogen wäre; aber ich scheute die beschwerliche Reise.“

„Warum seid Ihr aber nicht mit dem Statthalter davongegangen, als wir kamen. Der sitzt jetzt im Trockenen in Eßlingen, bis wir ihn weiter jagen.“

„Er hat uns im Stiche gelassen und meinem Kopf alles anvertraut; und beinahe hätte ich mit dem Kopf dafür büßen müssen. Ich dachte nicht, daß die Gefahr so groß sei, ließ mich von Doktor Calmus verführen, eine Rede ans Volk zu halten und Württemberg dem Bunde zu retten. Das hätte gewiß Aufsehen gemacht, und Bertha wäre noch eins so freundlich gewesen. Aber die Leute da unten in Württemberg sind Barbaren und ohne alle Lebensart;


  1. „Wallensteins Tod“, 2. Aufzug. 2. Auftritt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 344–345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_195.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)