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ernstere Bild längst aus seinem Herzen verdrängt, und doch fühlte der arme Herr Dieterich die alte Wunde wieder bluten, als das Fräulein von Lichtenstein sich nahte. Aber welcher unbekannten Macht sollte er es zuschreiben, daß Mariens Züge einen ganz anderen Ausdruck gewonnen hatten? Wohl lag noch eine hohe Würde in ihrer Haltung, auf ihrer Stirne, aber in ihren Augen glühte eine stille Freude, ihr Mund lächelte und scherzte, auf ihren Wangen waren die schönsten Rosen aufgeblüht. Sprachlos hatte Dieterich von Kraft diese Erscheinung angestarrt, und jetzt erst wurde auch er von dem alten Ritter bemerkt. „Seh’ ich recht“, rief dieser, „Dieterich Kraft, mein Neffe! Was führt denn dich nach Stuttgart, kommst du etwa zur Hochzeit meiner Tochter mit Georg von Sturmfeder? Aber wie siehst du aus? Was fehlt dir doch? Du bist so bleich und elend, und deine Kleider hängen dir in Fetzen vom Leibe!“

Der Ratsschreiber sah herab auf das rosenfarbene Mäntelein und errötete. „Weiß Gott“, rief er, „ich kann mich vor keinem ehrlichen Menschen sehen lassen! Diese verdammten Württemberger, diese Weingärtner und Schustersjungen haben mich so zerfetzt. Aber wahrhaftig, der ganze durchlauchtige Bund ist in meiner Person angegriffen und beleidigt!“

„Ihr dürft froh sein, Vetter, daß Ihr so davongekommen seid!“ sagte Georg, indem er die Angekommenen in sein Gemach einführte; „bedenket Herr Vater, gestern nacht, als wir vor den Thoren standen, hielt er Reden an die Bürger, um sie aufzuwiegeln gegen uns; da hat ihn heute frühe der Kanzler wollen köpfen lassen; mit großer Mühe bat ich ihn los, und jetzt klagt er die Württemberger wegen seines zerfetzten Mänteleins an.“

„Mit gnädiger Erlaubnis“, sagte Frau Rosel und verbeugte sich dreimal vor dem Ratsschreiber, „wenn Ihr meine Hülfe annehmen wollet, so will ich den Mantel flicken, daß es eine Lust ist. Da geht’s wie im Sprüchwort: ‚Hat der Junge den Rock zerrissen, hat der Alt’ ihn flicken müssen.‘“

Herrn Dieterich war diese Hülfe sehr angenehm; er bequemte sich, zu der Frau Rosel ans Fenster zu sitzen, um sich seine Gewänder zurechtrichten zu lassen. Sie zog aus ihrer großen Ledertasche [349] Zwirn von allen Farben und machte sich an die Wunden, die ihm die Württemberger geschlagen hatten. Sie unterhielt ihn dabei mit ergötzlichen Reden von der Haushaltung und der Zubereitung verschiedener Speisen, die in Frau Sabinas Kochregister nicht vorgekommen waren. Entfernt von diesem Paar um die ganze Breite des Zimmers saßen Georg und Marie im traulichen Flüstern der Liebe. Weder der gelehrte Johannes Thetingerus[1], noch ein Johannes Bezius[2], weder Gabelkofer[3], noch Crusius[4], so wichtige Kunden wir ihnen über diese Zeiten verdanken, melden uns, was diese beiden an jenem Morgen zusammen flüsterten. Nur so viel können wir berichten, daß eine süße Ruhe auf Mariens Zügen lag, daß sie die schönen Augen bald freudig aufschlug, bald verschämt wieder senkte, daß sie bald lächelte, bald tief errötete und manche Frage des Geliebten mit Küssen zurückdrängte.

Der Leser wird es uns Dank wissen, wenn wir ihn von einer Szene, die so wenig historischen Grund und Boden, also nach neueren Begriffen auch keinen Wert hat, hinwegführen und den Schritten des Ritters von Lichtenstein folgen. Er hatte seine Tochter unter der Pflege Georgs, seinen Neffen unter der kunstreichen Hand der Frau Rosalia gelassen und schritt nun den Gemächern des Herzogs zu. Seine Züge, welchen Alter und Erfahrung einen sinnenden Ernst eingedrückt hatten, erschienen in dieser Stunde noch ernster – beinahe traurig. Dieser Mann hatte von seinen Vätern die Liebe zum Hause Württemberg geerbt, Gewohnheit und Neigung hatten ihn an die Regenten gefesselt, die während seines langen Lebens über Württemberg geherrscht hatten, und das Unglück und die Verleumdung, welche auf Ulerich unablässig hereinstürmten, hatten das Herz des alten Herrn nicht von diesem Herzog losreißen können, – sie fesselten


  1. Joh. Pedius Thethinger (gest. 1558) hat 1545 ein Werk unter dem Titel: „Wirtembergiae libri duo, quibus Huldrichi ducis res militiae domique gestae carmine delineantur“ veröffentlicht.
  2. Joh. Betzius schrieb eine „Historia Ulrici ducis Wirtemb.“
  3. Oswald Gabelkhover (1539–1616), Leibarzt des Herzogs Ludwig, schrieb eine „Geschichte des wirtenbergischen Fürstenhauses bis 1534“.
  4. Mart. Crusius (1526–1607), Professor in Tübingen, schrieb „Annales Suevici“ (1596).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 348–349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_197.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)