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ihn nur mit noch stärkeren Banden. Mit der Freude eines Bräutigams, der zur Hochzeit zieht, mit der Kraft eines Jünglings hatte er den weiten und beschwerlichen Weg von seinem Schloß nach Stuttgart zurückgelegt, als man ihm gemeldet hatte, daß der Herzog Leonberg erobert habe und auf Stuttgart zuziehe. Keinen Augenblick zweifelte er an dem Siege des Herzogs, und so traf es sich, daß er schon am andern Morgen der neuen Herrschaft Ulerichs nach Stuttgart kam.

Nicht so fröhlicher Art waren die Nachrichten, die ihm Georg mitteilte, als er mit ihm und Marien die Treppe heraufstieg. „Der Herzog“, hatte ihm jener zugeflüstert, „der Herzog ist nicht so, wie er sollte; Gott weiß, was er mit seinem Lande machen will, er hat unterweges sonderbare Reden fallen lassen, und ich fürchte, er ist nicht in den besten Händen. Der Kanzler Ambrosius Volland –“ Dieser einzige Name reichte hin, in dem Ritter von Lichtenstein große Besorgnisse aufzuregen. Er kannte diesen Volland, er wußte, daß er zwar gelehrt, in allen Regierungsgeschäften überaus wohlerfahren, zu jedem, auch dem schwersten, Dienst bereit, aber dabei ein Mann sei, der zum wenigsten schon öfter ein gewagtes, wo nicht falsches Spiel gespielt habe.

„Wenn der Herzog diesem sein Vertrauen schenkt, wenn er nur seine Ratschläge befolgt, dann sei Gott gnädig. Dem Ambrosius ist das Land ein Stück Leder, das man nach Willkür handhaben kann, er wird es zurechtschneiden wollen zu einem Koller für den Herzog und die Abschnipfel für sich behalten. Aber, wie Frau Rosel zu sagen pflegt, ‚Zerschneiden kann jeder Narr, aber wie zusammennähen?‘“ So sprach der alte Herr von Lichtenstein zu sich, als er durch die Galerien ging; er streichelte unmutig seinen langen, weißen Bart, und seine Augen glühten vom Eifer für die gute Sache Württembergs.

Er wurde sogleich vorgelassen und traf den Herzog in großer Beratung mit Ambrosio. Der letztere hatte eine ungeheure Schwanenfeder in der einen Hand, in der andern hielt er ein Pergament, das mit schwarzer, roter und blauer Tinte in vielen zierlichen Schnörkeln beschrieben war. Der Herzog spielte mit einem großen Sigill, das er in der Hand hielt, er schien mit sich [351] zu kämpfen, er sah bald seinen Kanzler durchdringend an, bald heftete sich sein Blick wieder auf das Sigill. Sie waren beide so vertieft, daß Lichtenstein einige Minuten im Zimmer stand, ohne von ihnen bemerkt zu werden; er betrachtete mit großer Teilnahme die edlen Züge Ulerichs von Württemberg. Er sah, wie auf seiner Stirne, in seinen sprechenden Augen so verschiedene Empfindungen wechselten. Bald runzelte sich seine Stirne, seine Augenbrau’n zuckten, sein Auge rollte, dann glätteten sich diese Falten, aus seinen Blicken strahlte nur ein tiefer Ernst, der in Nachdenken überging, und oft schien ein Anflug von Güte den strengen Ausdruck seiner Züge zu mildern. Aber der im gelben Mäntelein mit der Schwanenfeder in der Hand, stand wie der Versucher vor ihm; er wand und drehte sich vor ihm, wie die Schlange im Paradies, und das ewig stehende Lächeln, der Ausdruck von Ehrlichkeit, den er seinen grünen Äuglein zu geben wußte, wenn ihn sein Herr scharf ansah, sollten einladen, den Apfel anzubeißen.

„Ich kann nicht begreifen“, sprach er mit heiserer, feiner Stimme, „warum Ihr es nicht thun möget. Hat wohl Cäsar so lange gezaudert, als er über den Rubikon ging? Ein großer Mann hat große Mittel nötig, und die Mitwelt und die Nachwelt wird Euch preisen, daß Ihr diese Fesseln von Euch geworfen.“

„Weißt du dies so gewiß, Ambrosius Volland?“ entgegnete der Herzog, indem er ihn düster anblickte. „Man wird sagen: Herzog Ulerich war ein Tyrann. Er hat die alte Ordnung umgestoßen, die seinen Vätern heilig war, er hat den Vertrag, den er selbst aufgerichtet, gebrochen, er hat sein Land wie ein fremdes behandelt, er hat die Gesetze nicht gehalten, die –“

„Erlaubet“, unterbrach ihn jener, „es kommt nur allein auf die Frage an: ‚Wer ist Herr? der Herzog oder das Land?‘ Wenn das Land Herr ist, dann ist’s was anderes. Dann freilich sind allerlei Pakten, Verträge, Klauseln und dergleichen nötig. Die Ritterschaft, die Prälaten und die Landschaft sind dann Meister, und Euer Durchlaucht – nun, sind dann der, welcher den Namen dazu hergibt. Seid Ihr aber, was man so eigentlich Herr nennt, dann seid Ihr es auch, der Gesetze gibt. Jetzt habt Ihr das Heft

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 350–351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_198.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)