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kaum noch eine Viertelstunde entfernt sei. Da merkte er, daß er an diesem Tage sein Reich zum zweitenmal verloren habe, daß ihm nichts mehr übrigbleibe als Flucht oder Tod, um nicht in die Hände seiner Feinde zu fallen. Seine Begleiter rieten ihm, sich in sein Stammschloß Württemberg zu werfen und sich dort zu halten, bis er Gelegenheit fände, heimlich zu entrinnen; er schaute hinauf nach dieser Burg, die, von dem Glanz des Tages bestrahlt, ernst auf jenes Thal herabblickte, wo der Enkel ihrer Erbauer den letzten verzweifelten Kampf um sein Herzogtum kämpfte. Aber er erbleichte und deutete sprachlos hinauf, denn auf den Türmen und Mauern dieser Burg erschienen rote, glänzende Fähnlein, die im Morgenwind spielten; die Ritter blickten schärfer hin, sie sahen, wie die Fähnlein wuchsen und größer wurden, und ein schwärzlicher Rauch, der jetzt an vielen Stellen aufstieg, zeigte ihnen, daß es die Flamme sei, welche ihre glühende Paniere siegend auf den Zinnen aufgesteckt hatte. Württemberg brannte an allen Ecken, und sein unglücklicher Herr sah mit dem greulichen Lachen der Verzweiflung diesem Schauspiel zu. Jetzt bemerkten auch die Heere die brennende Burg. Die Bündischen begrüßten diese Flammen mit einem Freudengeschrei, den Württembergern entsank der Mut, es war ihnen, als sei dies ein Zeichen, daß das Glück ihres Herzogs ein Ende habe.

Schon tönten die Trommeln des im Rücken heranziehenden Heeres vernehmlicher, schon wich an vielen Orten das Landvolk, da sprach Ulerich: „Wer es noch redlich mit Uns meint, folge nach, wir wollen uns durchschlagen durch ihre Tausende oder zu Grund gehen. Nimm mein Banner in die Hand, tapferer Sturmfeder, und reite mutig mit uns in den Feind!“ Georg ergriff das Panier von Württemberg, der Herzog stellte sich neben ihn, die Ritter und die Bürger zu Pferd umgaben sie und waren bereit, ihrem Herzog Bahn zu brechen. Der Herzog deutete auf eine Stelle, wo die Feinde dünner standen, dort müsse man durchkommen oder alles sei verloren. Noch fehlte es an einem Anführer, und Georg wollte sich an die Spitze stellen, da winkte ihm der Ritter von Lichtenstein, seinen Platz an der Seite des Herzogs nicht zu verlassen, und stellte sich vor die Reiter; noch [403] einmal wandte er die ehrwürdigen Züge dem Herzog und seinem Sohne zu, dann schloß er das Visier und rief: „Vorwärts, hie gut Württemberg alle weg!“

Dieser Reiterzug war wohl zweihundert Pferde stark und bewegte sich in Form einer Keile im Trab vorwärts. Der Kanzler Ambrosius Volland sah sie mit leichtem Herzen abziehen, denn der Herzog schien ihn ganz vergessen zu haben, und er hielt jetzt mit sich Rat, wie er ohne Gefahr von seinem hochbeinigten Tier herabkommen sollte. Doch der edle Renner des Herzogs hatte mit klugen Augen den Reitern nachgeschaut; so lange sie sich im Trab fortbewegten, stand er stille und regungslos, jetzt aber ertönten die Trompeten zum Angriff, man sah das Panier von Württemberg hoch in den Lüften wehen und die tapfere Reiterschar im Galopp auf den Feind ansprengen. Auf diesen Moment schien der Renner gewartet zu haben; mit der Schnelligkeit eines Vogels strich er jetzt über die Ebene hin, den Reitern nach; dem Kanzler vergingen die Sinne, er hielt sich krampfhaft am Sattelknopf, er wollte schreien, aber die Blitzesschnelle, womit sein Roß die Luft teilte, unterdrückte seine Stimme; in einem Augenblick hatte er den Zug eingeholt, so schnell sie ihre Rosse auslaufen ließen, er überholte sie, und so hatte es der Kanzler in kurzer Zeit bis zum Anführer der Reiter gebracht. Der Feind stutzte über die sonderbare Gestalt, die mehr einem geharnischten Affen als einem Krieger glich, noch ehe sie sich recht besinnen konnten, war der fürchterliche Mann mitten in ihren Reihen, die Württemberger brachen trotz des entscheidenden Augenblickes in ein lustiges Gelächter aus, und auch dieses mochte beitragen, die tapfern Truppen von Ulm, Gemünd, Aalen, Nürnberg und noch zehn andern Reichsstädten, welche dieser unerwartete Angriff traf, zu verwirren; sie zerstiebten vor der ungeheuren Wucht der zweihundert Pferde, und die ganze Schar war im Rücken des Feindes. Sie setzte eilig ihren Marsch fort, und ehe noch die bündische Reiterei zum Nachsetzen herbeigerufen werden konnte, hatte der Herzog mit wenigen Begleitern sich zur Seite geschlagen; er gewann einen großen Vorsprung, denn die Reiterei des Bundes erreichte die berittene Schar der Bürger erst vor den Thoren

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 402–403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_224.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)