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von Stuttgart, und es fand sich unter ihnen weder der Herzog, noch einer seiner wichtigeren Anhänger, außer dem Kanzler Ambrosius Volland, den man halbtot vom Pferde hob. Die bündischen Kriegsleute behandelten ihn, nachdem man ihm die gewölbte Rüstung vom Leib geschält hatte, sehr übel, denn nur seiner fürchterlichen, alle Begriffe übersteigenden Tapferkeit schrieben sie es zu, daß ihnen der Herzog und mit ihm eine Belohnung von tausend Goldgulden entgangen war. So geschah es, daß dieser tapfere Kanzler nicht, wie sein Herzog, in der Schlacht, sondern nach der Schlacht geschlagen wurde.





X.


 „Wohl wieget eines viele Thaten auf –
 Sie achten drauf –
 Das ist um deines Vaterlandes Not
 Der Heldentod.
 Sieh’ hin, die Feinde fliehen, blick’ hinan,
 Der Himmel glänzt, dahin ist unsre Bahn.“
 L. Uhland.[1]


Die Nacht, welche diesem entscheidenden Tag folgte, brachten Herzog Ulerich und seine Begleiter in einer engen Waldschlucht zu, die durch Felsen und Gesträuche einen sicheren Versteck gewährte und noch heute bei dem Landvolk die „Ulerichshöhle“ genannt wird. Es war der Pfeifer von Hardt, der ihnen auf ihrer Flucht als ein Retter in der Not erschienen war und sie in diese Bucht führte, die nur den Bauern und Hirten der Gegend bekannt war. Der Herzog hatte beschlossen, hier zu rasten, um dann, sobald der Tag graute, seine Flucht nach der Schweiz fortzusetzen. Wohl wäre ihm hiezu die Nacht günstiger gewesen, denn die Bundestruppen hatten schon das Land besetzt, und es war wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sie täuschen und ungehindert entkommen werde; aber die Pferde waren von dem heißen Schlachttag [405] ermüdet, und es war unmöglich, den Herzog und seine notwendige Begleitung von neuem beritten zu machen, ohne die Nachforschung des Feindes nach diesem Schlupfwinkel zu leiten.

Die Männer hatten sich um ein spärliches Feuer gelagert. Der Herzog war längst dem Schlummer in die Arme gesunken, und vergaß vielleicht in seinen Träumen, daß er ein Herzogtum verloren habe; auch der alte Herr von Lichtenstein schlief und Marx Stumpf von Schweinsberg hatte seine mächtigen Arme auf die Kniee gestützt, sein Gesicht in die Hände verborgen, und man war ungewiß, ob er schlafe oder in Kummer versunken über das Schicksal des Herzogs nachdachte, das sich mit einem Schlag so furchtbar gewendet hatte. Georg von Sturmfeder besiegte die Macht des Schlummers, der sich immer wieder über ihn lagern wollte; er war der jüngste unter allen und hatte freiwillig in dieser Nacht die Wache übernommen. Neben ihm saß Hans, der Pfeifer von Hardt; er sah unverwandt ins Feuer, und seine Gedanken schienen sich in einem Liedchen zu sammeln, dessen melancholische Weisen er mit leiser unterdrückter Stimme vor sich hin sang. Wenn das Feuer heller aufflackerte, schaute er mit einem trüben Blick nach dem Herzog, und wenn er sah, daß jener noch immer schlafe, versank er wieder in den flüsternden, traurigen Gesang.

„Du singst eine traurige Weise, Hans!“ unterbrach ihn Georg, den die melancholischen Töne dieses Liedes unheimlich anregten; „es tönt wie Totengesang und Sterblieder, ich kann es nicht ohne Schaudern hören.“

„Wir können alle Tage sterben“, sagte der Spielmann, indem er düster in die Flamme blickte; „drum sing’ ich gerne ein solches Lied, es ist mir, als könnte ich mit solchen Gedanken würdiger sterben.“

„Wie kommst du auf einmal zu diesen Todesgedanken, Hans? Du warst doch sonst ein fröhlicher Bursche zur Herbstzeit, und deine Zither tönte auf mancher Kirchweih’. Da hast du gewiß keine Totenlieder gesungen.“

„Meine Freude ist aus“, erwiderte er und wies auf den Herzog; „all meine Mühe, all meine Sorge war vergebens; es ist aus mit dem Herrn, und ich – ich bin sein Schatten; auch mit mir


  1. Schlußstrophe des Gedichtes: „Die sterbenden Helden“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 404–405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_225.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)