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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

es war Werktag bei andern Leuten und draußen heulte der Sturm, die Windfahnen stimmten sonderbare Weisen an, und der Regen rauschte auf das Pflaster des Domhofs. Aber der Ratsdiener maß mich mit fragenden Blicken vom Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweisung auf einigen Wein darreichte.

„So spät noch, und heute, in dieser Nacht?“ rief er.

„Mir ist es vor zwölf Uhr nie zu spät“, entgegnete ich, „und nachher ist es wohl frühe genug am Tage.“

„Aber muß es denn –“ wollte er eben fragen, doch Sigill und Handschrift seiner Obern fiel ihm wieder ins Auge, und schweigend, aber nicht ohne Zögern schritt er voraus durch die Hallen. Welch herzerquickender Anblick, wenn sein Windlicht über die lange Reihe der Fässer hinstreifte, welch sonderbare Formen und Schatten, wenn es an den Schwibbogen des Kellers zitterte und die Säulen im dunkeln Hintergrunde wie geschäftige Küper um die Fässer schwebten! Er wollte mir eines jener kleineren Gemächer aufschließen, wo höchstens sechs bis acht Freunde, eng zusammengerückt, den Becher kreisen lassen können. Doch, mit trauten Gesellen liebe ich ein solches heimliches Plätzchen; der enge Raum drängt Mann an Mann, und die Töne, die hier nicht verhallen können, klingen traulicher; aber allein und einsam liebe ich freiere Räume, wo der Gedanke, gleich den Atemzügen, sich freier ausdehnt. Ich wählte einen alten gewölbten Saal, den größten in diesen unterirdischen Räumen, zu meinem einsamen Gelage.

„Erwarten Sie Gesellschaft?“ fragte der Mann an meiner Seite.

„Ich bin allein.“

„Sie könnten ungebeten welche haben“, setzte er hinzu, indem er sich scheu nach den Schatten umsah, die seine Lampe warf.

„Wie meint Ihr das?“ fragte ich verwundert.

„Ich meinte nur so“, antwortete er, indem er einige Kerzen anzündete und einen großen Römer vor mich hinsetzte. „Man spricht mancherlei vom ersten September, der Herr Senator D. waren übrigens schon vor zwei Stunden da, und ich erwartete Sie nicht mehr.“

[11] „Der Herr Senator D.? Warum? Fragte er nach mir?“

„Nein, er hieß mich nur die Proben herausnehmen.“

„Welche Proben, mein Freund?“

„Nun die von den Zwölfen und der Rose“, erwiderte der alte Mann, indem er anfing, einige niedliche Fläschchen mit langen Papierstreifen an den Hälsen hervorzuziehen.

„Wie!“ rief ich, „man sagte mir ja, ich könnte den Wein von den Fässern selbst trinken.“

„Ja, aber nur im Beisein eines Herrn vom Senat. Darum hieß mich der Herr Doktor die Zungenpröbchen herausnehmen, und so will ich sie Ihnen einschenken, wenn’s gefällig.“

„Nicht einen Tropfen“, unterbrach ich ihn, „hier kein Glas voll; nein, das ist der echte Genuß, vom Faß zu trinken, und ist es mir nicht mehr möglich, so will ich doch am Fasse trinken. Kommt, Alter, nehmet die Proben mit, ich will das Licht tragen.“

Ich stand schon einige Minuten und sah dem wunderlichen Treiben des alten Dieners zu. Bald stand er still, sah auf mich und räusperte sich, als wollt’ er sprechen, bald nahm er die Proben vom Tische und packte sie in seine weiten Taschen, bald nahm er sie zögernd wieder heraus, um sie auf den Tisch zu setzen. Es ermüdete mich. „Nun, sollen wir bald gehen?“ rief ich voll Sehnsucht nach dem Apostelkeller; „wie lange wollt Ihr noch an Euren Gläschen hier aus- und einpacken?“

Der ernste Ton, in welchem ich dies sagte, schien ihm Mut zu machen. Ziemlich bestimmt antwortete er: „Es geht nicht, – nein! heute geht es nicht mehr, Herr!“

Ich glaubte hierin einen jener gewöhnlichen Kniffe zu sehen, womit Hausverwalter, Kastellane oder Kellermeister dem Fremden Geld abzuzwacken suchen, drückte ihm ein hinlängliches Geldstück in die Hand und nahm ihn beim Arm, ihn fortzuziehen.

„Nein, so war es nicht gemeint“, entgegnete er, indem er das Geldstück zurückzuschieben suchte; „so nicht, fremder Herr! ich will es nur gerade heraussagen; mich bringt man nicht mehr in den Apostelkeller in dieser Nacht, denn wir schreiben heute den ersten September.“

„Und welche Thorheit wollt Ihr daraus folgern?“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 10–11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_007.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)