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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Ei der tausend!“ murmelten sie nachdenklich, „das ist ja ganz sonderbar und verkehrt!“ – „Und“, sprach Petrus, „keinen Krieg gibt es nicht?“

„Ein klein wenig, wird aber bald vollends zu Ende sein, in Griechenland gegen die Türken.“[WS 1]

„Ha! das ist schön“, rief der Paladin und schlug mit der steinernen Faust auf den Tisch, „hat mich schon vor vielen Jahren geärgert, daß die Christenheit so schnöde zuschaute, wie der Muselmann dies herrliche Volk in Banden hielt; das ist schön, wahrlich! Ihr lebet in einer schönen Zeit, und euer Geschlecht ist edler, als ich dachte. Also die Ritter von Deutschland und Frankreich, von Italien, Spanien und England sind ausgezogen, wie einst unter Richard Löwenherz, die Ungläubigen zu bekämpfen? Die Genueser Flotte schifft im Archipel, die Tausende der Streiter überzusetzen, die Oriflamme[1] naht sich Stambuls Küsten, und Österreichs Banner weht im ersten Reihen? Ha! zu solchem Kampfe möchte ich selbst noch einmal mein Roß besteigen, mein gutes Schwert Durande ziehen und in mein Hifthorn stoßen, daß alle Helden, die da schlafen, aufstünden aus den Gräbern und mit mir zögen in die Türkenschlacht.“

„Edler Ritter“, antwortete ich und errötete vor meiner Zeit, „die Zeiten haben sich geändert. Ihr würdet wahrscheinlich als Demagoge verhaftet werden bei sothanen Umständen und Verhältnissen, denn weder Habsburgs Banner noch die Oriflamme, weder Englands Harfe, noch Hispaniens Löwen sieht man in jenen Gefechten.“

„Wer ist es denn, der gegen den Halbmond schlägt, wenn es nicht diese sind?“

„Die Griechen selbst.“

„Die Griechen? Ist es möglich?“ rief Johannes; „und die andern Staaten, wo sind denn diese beschäftigt?“

„Noch haben sie Gesandte bei der Pforte?“

„Mensch, was sagst du“, sprach Roland starr vor Staunen, „kann man es ignorieren, wenn ein Volk um seine Freiheit kämpft? [53] Heilige Jungfrau, was ist dies für eine Welt! Wahrlich, das möchte einen Stein erbarmen!“ Er quetschte im Zorn, während er die letzten Worte sprach, den silbernen Becher wie dünnes Zinn zusammen, daß der Wein darin hoch an die Decke spritzte, fuhr rasselnd auf vom Tisch, nahm seine Tartsche[2] und sein langes Schwert und schritt düster mit dröhnenden Schritten aus dem Gemach.

„Ei, was ist der steinerne Roland für ein zorniger Kumpan“, murmelte Rose, nachdem er die Pforte klirrend zugeworfen, indem sie etliche Weintropfen, die sie benetzten, vom Busentuch abschüttelte; „will der steinerne Narr auf seine alten Tage noch zu Felde ziehen! Wenn er sich sehen ließe, sie steckten ihn gleich ohne Barmherzigkeit als Flügelmann unter die Brandenburger Grenadiere, denn die Größe hat er.“

„Jungfer Rose“, erwiderte ihr Petrus, „zornig ist er, das ist wahr, und er hätte können auf andere Weise davongehen; aber bedenket, daß er einst, furioso[3], wahnsinnig war und noch ganz andere Sachen gethan, als silberne Becher zerquetscht und Frauenzimmer mit Wein besudelt. Und genau beim Lichte besehen, kann ich ihm seinen Unmut auch nicht verdenken; war er doch auch einmal ein Mensch und dazu ein herrlicher Paladin des großen Kaisers, ein tapferer Ritter, der, wenn es Karl gewollt hätte, allein gegen tausend Muselmannen zu Felde gezogen wäre. Da hat er sich denn geschämt und ist unmutig geworden.“

„Laßt ihn laufen, den steinernen Recken!“ rief Bacchus, „hat mich geniert, der Bursche, hat mich geniert. Er paßt nicht unter uns, der Lümmel von zehen Schuh, er sah immer höhnisch auf mich herab. Die ganze Freudigkeit und mein Vergnügen hätt’ er gestört. Wir wären nicht zum Tanzen gekommen, nur weil er mit seinen steifen steinernen Beinen keinen tüchtigen Hopser hätte riskieren können, ohne elend umzustülpen.“

„Ja, tanzen, heisa, tanzen!“ riefen die Apostel; „Balthasar, spiel’ auf, spiel’ auf!“

Judas stand auf, zog ungeheure Stülphandschuhe an, die ihm


  1. Die Oriflamme, eine fünfzipfelige Fahne von rotem Seidenzeug, bildete im Mittelalter längere Zeit das Heerzeichen Frankreichs.
  2. Ein kleiner Schild mit einem Ausschnitt für die Lanze.
  3. Nach dem Heldengedicht „Orlando furioso“ („Der rasende Roland“) von Lodovico Ariosto (1474–1533).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im März 1821 begann die geplante Revolution gegen die osmanische Herrschaft in Griechenland; die Großmächte griffen erst Jahre später in den Konflikt ein (Wikipedia).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 52–53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_028.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)