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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

beinahe bis zum Ellbogen reichten, trat zierlich an die Jungfrau heran und sagte: „Ehrenfeste und allerschönste Jungfer Rose; dürfte ich mir die absonderliche Ehre ausbitten, mit Ihr den ersten“ –

„Manum de!“ – unterbrach ihn Bacchus pathetisch. „Ich bin es, der den Ball arrangiert hat, und ich muß ihn eröffnen. Tanze Er, mit wem Er will, Meister Judas, mein Röschen tanzt mit mir. Nicht wahr, Schätzerl?“

Sie machte errötend einen Knix zur Bejahung, und die Apostel lachten den Judas aus und verhöhnten ihn. Mir aber winkte der Weingott heroisch zu: „Versteht Er Musik, Doktor?“ fragte er.

„Ein wenig.“

„Taktfest?“

„O ja, taktfest wohl.“

„Nun so nehme Er dies Fäßlein da, setze Er sich neben Balthasar Ohnegrund, unseren Kellermeister und Zinkenisten, nehme Er diese hölzernen Küperhämmer zur Hand und begleite jenen mit der Trommel.“

Ich staunte und bequemte mich; war aber schon meine Trommel etwas außergewöhnlich, so war Balthasars Instrument noch auffallender. Er hielt nämlich einen eisernen Hahnen von einem achtfuderigen Faß an den Mund, wie ein Klarinett. Neben mich setzten sich noch Bartholomäus und Jakobus mit ungeheuern Weintrichtern, die sie als Trompeten handhabten, und warteten des Zeichens, der Tisch wurde auf die Seite gerückt, Rose und Bacchus stellten sich zum Tanze. Er winkte, und eine schreckliche, quiekende, mißtönende Janitscharenmusik brach los, zu der ich im Sechsachteltakt auf mein Faß als Tambour aufschlegelte. Der Hahn, den Balthasar blies, tönte wie eine Nachtwärtertute und wechselte nur zwischen zwei Tönen, Grundton und abscheulich hohem Falsett, die beiden Trichtertrompeter bliesen die Backen auf und lockten aus ihren Instrumenten Angst- und Klagelaute so herzdurchschneidend, wie die Töne der Tritonen[1], wenn sie die Meermuscheln blasen.

Der Tanz, den die beiden aufführten, mochte wohl vor ein [55] paar hundert Jahren üblich gewesen sein. Jungfer Rose hatte mit beiden Händen ihren Rock ergriffen und solchen an den Seiten weit ausgespannt, daß sie anzusehen war, wie ein großes, weites Faß. Sie bewegte sich nicht sehr weit von der Stelle, sondern trippelte hin und her, indem sie bald auf-, bald niedertauchte und knixte. Lebendiger war dagegen ihr Tänzer, der wie ein Kreisel um sie herfuhr, allerlei kühne Sprünge machte, mit den Fingern knallte und Heisa, Juhe! schrie. Wunderlich war es anzusehen, wie das kleine Schürzlein der Jungfer Rose, das ihm Balthasar umgethan, hin und her flatterte in der Luft, wie seine Beinchen umherbaumelten, wie sein dickes Gesicht lächelte vor inniger Herzenslust und Freude.

Endlich schien er ermüdet, er winkte Judas und Paulus herbei und flüsterte ihnen etwas zu; sie banden ihm die Schürze ab, faßten solche an beiden Enden und zogen und zogen, so daß sie plötzlich so groß wurde, wie ein Betttuch; dann riefen sie die anderen herbei, stellten sie rings um das Tuch und ließen es anfassen. „Ha, dachte ich, jetzt wird wahrscheinlich der alte Balthasar ein wenig geprellt zu allgemeiner Ergötzung; wenn nur das Gewölbe nicht so nieder wäre, da kann er leicht den Schädel einstoßen.“ Da kam Judas und der starke Bartholomäus auf uns zu und faßten – mich; Balthasar Ohnegrund lachte hämisch; ich bebte, ich wehrte mich; es half nichts, Judas faßte mich fest an der Kehle und drohte mich zu erwürgen, wenn ich mich ferner sträube. Die Sinne wollten mir vergehen, als sie mich unter allgemeinem Jauchzen und Geschrei auf das Tuch legten; noch einmal raffte ich mich zusammen: „Nur nicht zu hoch, meine werten Gönner, ich renne mir sonst das Hirn ein am Gewölbe“, rief ich in der Angst des Herzens, aber sie lachten und überschrien mich. Jetzt fingen sie an, das Tuch hin und her zu wiegen, Balthasar blies den Trichter dazu; jetzt ging es auf- und abwärts, zuerst drei, vier, fünf Schuh hoch, auf einmal schnellten sie stärker, ich flog hinauf und – wie eine Wolke that sich die Decke des Gewölbes auseinander, ich flog immer aufwärts zum Rathausdach hinaus, höher, höher als der Turm der Domkirche. „Ha“, dachte ich im Fliegen, „jetzt ist es um dich geschehen, wenn du jetzt wieder fällst,


  1. Mythologiegestalten; meist oben als Mensch, unten als Fisch dargestellt, mit einer Muscheltrompete.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 54–55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)