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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Das Gespräch kam, wie natürlich, auf den Abwesenden und auf seine auffallende, glänzende Erscheinung. Sonderbar war es, daß es mir nicht aus dem Sinne kommen wollte, ich habe ihn, nur unter einer andern Gestalt, schon früher einmal auf meinem Lebenswege begegnet; so abgeschmackt auch der Gedanke war, so unwiderstehlich drängte er sich mir immer wieder auf. Aus früheren Jahren her erinnerte ich mich nämlich eines Mannes, der in seinem Wesen, in seinem Blick hauptsächlich, große Ähnlichkeit mit ihm hatte. Jener war ein fremder Arzt, besuchte nur hie und da meine Vaterstadt und lebte dort immer von Anfang sehr still, hatte aber bald einen Kreis von Anbetern um sich versammelt. Die Erinnerung an jenen Menschen war mir übrigens fatal, denn man behauptete, daß, so oft er uns besucht habe, immer ein bedeutendes Unglück erfolgt sei, aber dennoch konnte ich den Gedanken nicht los werden, Natas habe die größte Ähnlichkeit mit ihm, ja es sei eine und dieselbe Person.

Ich erzählte meinen Tischnachbarn den unablässig mich verfolgenden Gedanken und die unangenehme Vergleichung eines mir so grausenhaften Wesens, wie der Fremde in meiner Vaterstadt war, mit unserm Freunde, der so ganz meine Achtung und Liebe sich erworben hatte; aber noch unglaublicher klingt es vielleicht, wenn ich versichere, daß meine Nachbarn ganz den nämlichen Gedanken hatten; auch sie glaubten unter einer ganz andern Gestalt unsern geistreichen Gesellschafter gesehen zu haben.

„Sie könnten einem ganz bange machen“, sagte die Baronin von Thingen, die nicht weit von mir saß, „Sie wollen unsern guten Natas am Ende zum ewigen Juden oder, Gott weiß, zu was sonst noch machen!“

Ein kleiner ältlicher Herr, Professor in T., der seit einigen Tagen sich auch an unsere Gesellschaft angeschlossen und immer still vergnügt, hie und da etwas weinselig, mitlebte, hatte während unserer „vergleichenden Anatomie“, wie er es nannte, still vor sich hingelächelt und mit kunstfertiger Schnelligkeit seine ovale Dose zwischen den Fingern umgedreht, daß sie wie ein Rad anzusehen war.

[193] „Ich kann mit meiner Bemerkung nicht mehr länger hinter dem Berge halten“, brach er endlich los, „wenn Sie erlauben, Gnädigste, so halte ich ihn nicht gerade für den ewigen Juden, aber doch für einen ganz absonderlichen Menschen. Solange er zugegen war, wollte wohl hie und da der Gedanke in mir aufblitzen, ‚den hast du schon gesehen, wo war es doch?‘ aber wie durch Zauber krochen diese Erinnerungen zurück, wenn er mich mit dem schwarzen umherspringenden Auge erfaßte.“

„So war es mir gerade auch, mir auch, mir auch“, riefen wir alle verwundert.

„Hm! he, hm!“ lachte der Professor. „Jetzt fällt es mir aber von den Augen wie Schuppen, daß es niemand ist als der, den ich schon vor zwölf Jahren in Stuttgart gesehen habe.“

„Wie, Sie haben ihn gesehen und in welchen Verhältnissen?“ fragte Frau von Thingen eifrig und errötete bald über den allzu großen Eifer, den sie verraten hatte.

Der Professor nahm eine Prise, klopfte den Jabot aus und begann: „Es mögen nun ungefähr zwölf Jahre sein, als ich wegen eines Prozesses einige Monate in Stuttgart zubrachte. Ich wohnte in einem der ersten Gasthöfe und speiste auch dort gewöhnlich in großer Gesellschaft an der Wirtstafel. Einmal kam ich nach einigen Tagen, in welchen ich das Zimmer hatte hüten müssen, zum erstenmal wieder zu Tisch. Man sprach sehr eifrig über einen gewissen Herrn Barighi, der seit einiger Zeit die Mittagsgäste durch seinen lebhaften Witz, durch seine Gewandtheit in allen Sprachen entzücke; in seinem Lob waren alle einstimmig, nur über seinen Charakter war man nicht recht einig, denn die einen machten ihn zum Diplomaten, die andern zu einem Sprachmeister, die dritten zu einem hohen Verbannten, wieder andere zu einem Spion. Die Thüre ging auf, man war still, beinahe verlegen, den Streit so laut geführt zu haben; ich merkte, daß der Besprochene sich eingefunden habe, und sah –“

„Nun, ich bitte Sie! denselben, der uns“ – „denselben, der uns seit einigen Tagen so trefflich unterhält. Dies wäre übrigens gerade nichts Übernatürliches, aber hören Sie weiter: zwei Tage schon hatte uns Herr Barighi, so nannte sich der Fremde, durch

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 192–193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_098.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)