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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Dieser aber stand auf, lief mit schrillendem Gelächter im Zimmer umher, und plötzlich glaubte ich den unglückbringenden Doktor meiner Vaterstadt vor mir zu haben; es war nicht mehr Natas, es war ein älterer, unheimlicher Mensch.

„Da hat man’s ja deutlich“, rief der Professor, „dort läuft er als Barighi umher.“

„Barighi?“ entgegnete Frau von Trübenau, „bleiben Sie doch mit Ihrem Barighi zu Hause, es ist ja unser lieber Privatsekretär Gruber, der da hereingekommen ist.“

„Ich möchte doch um Verzeihung bitten, gnädige Frau“, unterbrach sie der Oberforstmeister, „es ist der Spieler Maletti, mit dem ich in Wiesbaden letzten Sommer associiert war.“

„Ha! Ha! wie man sich doch täuschen kann“, sprach Frau von Thingen, den Auf- und Abgehenden durch die perlmutterne Brille beschauend, „es ist ja niemand anders als der Kapellmeister Schmalz, der mir die Guitarre beibringt.“

„Warum nicht gar“, brummte der alte Ökonomierat, „es ist der lustige Kommissär, der mir die gute Brotlieferung an das Spital in D–n verschaffte.“

„Ach! Papa“, kicherte sein Töchterlein, „jener war ja schwarz, und dieser ist blond! Kennen Sie denn den jungen Landwirt nicht mehr, der sich bei uns ins Praktische einschießen wollte?“

„Hol mich der Kuckuck und alle Wetter“, schrie der preußische Hauptmann, „das ist der verfluchte Ladenprinz und Ellenreiter, der mir mein Lorchen wegfischte! Auf Pistolen fordere ich den Hund, gleich morgen, gleich jetzt.“ Er sprang auf und wollte auf den immer ruhig Auf- und Abgehenden losstürzen; der Professor aber packte ihn am Arm: „Bleiben Sie weg, Wertester!“ schrie er, „ich hab’s gefunden, ich hab’s gefunden, kehrt seinen Namen um, es ist der Satan!





Viertes Kapitel.
Das Manuskript.

So viel als ich hier niedergeschrieben habe, lebt von diesem Abend noch in meiner Erinnerung; doch kostete es geraume Zeit, [207] bis ich mich auf alles wieder besinnen konnte; ich muß in einem langen, tiefen Schlaf gewesen sein, denn als ich erwachte, stand Jean vor mir und fragte, indem er die Gardine für die Morgensonne öffnete, ob jetzt der Kaffee gefällig sei?

Es war eilf Uhr; wo war denn die Zeit zwischen gestern und heute hingegangen? Meine erste Frage war, wie ich denn zu Bett gekommen sei.

Der Kellner staunte mich an und meinte mit sonderbarem Lächeln, das müsse ich besser wissen als er.

„Ah! ich erinnere mich“, sagte ich leichthin, um meine Unwissenheit zu verbergen, „nach der Abendtafel …“

„Verzeihen der Herr Doktor“, unterbrach mich der Geschwätzige; „Sie haben nicht soupiert; Sie waren ja alle zu Thee und Punsch auf Nr. 15.“

„Richtig, auf Nr. 15, wollte ich sagen; ist der Herr Professor schon auf?“

„Wissen Sie denn nicht, daß sie schon abgereist sind?“ fragte der Kellner.

„Kein Wort!“ versicherte ich staunend.

„Er läßt sich Ihnen noch vielmal empfehlen, und Sie möchten doch in T. bei ihm einsprechen; auch läßt er Sie bitten, seiner und des gestrigen Abends recht oft zu gedenken, er habe es ja gleich gesagt.“

„Aha, ich weiß schon“, sagte ich, denn mit einem Mal fiel mir ein Teil des gestern Erlebten ein; „wann ist er denn abgereist?“

„Gleich in der Frühe“, antwortete jener, „noch vor dem Ökonomierat und dem Herrn Oberforstmeister.“

„Wie? so sind auch diese weggereist?“

„Ei ja!“ rief der staunende Kellner, „so wissen Sie auch das nicht? auch nicht, daß Frau von Thingen und die gnädige Frau von Trübenau –“

„Sie sind auch nicht mehr hier?“

„Kaum vor einer halben Stunde sind die gnädige Frau weggefahren“, versicherte jener. Ich rieb mir die Augen, um zu sehen, ob ich nicht träume, aber es war und blieb so; Jean stand nach wie vor an meinem Bette und hielt das Kaffeebrett in der Hand.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 206–207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_105.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)