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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Und Herr von Natas?“ fragte ich kleinlaut.

„Ist noch hier; ach das ist ein goldener Herr, wenn der nicht gewesen wäre, wir wären heute nacht in die größte Verlegenheit gekommen.“

„Wieso?“

„Nun bei der Fatalität mit der Frau von Trübenau; wer hätte aber auch dem gnädigen Herrn zugetraut, daß er so gut zur Ader zu lassen verstände?“

„Zur Aderlassen? Herr von Natas?“

„Ich sehe, der Herr Doktor sind sehr frühzeitig zu Bette gegangen und haben eine ruhigere Nacht gehabt als wir“; Jean belehrte mich in leichtfertigem Ton: „Es mochte kaum eilf Uhr gewesen sein, die Geschichte mit der Polizei war schon vorbei –“

„Was für eine Geschichte mit der Polizei?“

„Nun, Nr. 15 ist vorn heraus, und weil, mit Permiß zu sagen, dort ein ganz höllischer Lärm war, so kam die Runde ins Haus und wollte abbieten; Herr von Natas aber, der ein guter Bekannter des Herrn Polizeilieutenants sein muß, beruhigte sie, daß sie wieder weitergingen. Also gleich nachher kam das Kammermädchen der Frau von Trübenau herabgestürzt, ihre gnädige Frau wolle sterben. Sie können sich denken, wie unangenehm so etwas in einem Gasthof nachts zwischen eilf und zwölf Uhr ist. Wir wie der Wind hinauf, auf der Treppe begegnet uns Herr von Natas, fragt, was das Rennen und Laufen zu bedeuten habe, hört kaum, wo es fehlt, so läuft er in sein Zimmer, holt sein Etui, und ehe fünf Minuten vergehen, hat er der gnädigen Frau am Arm mit der Lanzette eine Ader geöffnet, daß das Blut in einem Bogen aufsprang; sie schlug die Augen wieder auf, und es war ihr bald wohl, doch versprach Herr von Natas, bei ihr zu wachen.“

„Ei! was Sie sagen, Jean!“ rief ich voll Verwunderung.

„Ja, warten Sie nur! kaum ist eine Stunde vorbei, so ging der Tanz von neuem los; auf Nr. 18 läutete es, daß wir meinten, es brenne drüben in Kassel; des Herrn Ökonomierats Rosalie hatte ihre histrionischen Anfälle bekommen; der Alte mochte ein Glas über Durst haben, denn er sprach vom Teufel, der ihn und sein Kind holen wolle; wir wußten nichts anderes, als wieder [209] unsere Zuflucht zu Herrn von Natas zu nehmen; er hatte versprochen, bei Frau von Trübenau mit dem Kammermädchen zu wachen; aber lieber Gott! geschlafen muß er haben wie ein Dachs, denn wir pochten drei-, viermal, bis er uns Antwort gab, und die Kammerkatze war nun gar nicht zu erwecken.“

„Nun, und ließ er der schönen Rosalie zur Ader?“

„Nein, er hat ihr, wie mir Lieschen sagte, Senfteig zwei Hand breit aufs Herz gelegt, darauf soll es sich bald gegeben haben.“

„Armer Professor!“ dachte ich, „dein hübsches Röschen mit ihren sechzehn Jährchen, und dieser Natas in traulicher Stille der Nacht, ein Pflaster auf das pochende Herz pappend.“

„Der Herr Papa-Ökonomierat war wohl sehr angegriffen durch die Geschichte?“ fragte ich, um über die Sache ins klare zu kommen.

„Es schien nicht, denn er schlief schon, ehe noch Lieschen mit dem Hirschhorngeist aus der Apotheke zurückkam. Aber es läutet im zweiten Stock, und das gilt mir.“ Er sprachs und flog pfeilschnell davon.

So war also mit einem Male die lustige Gesellschaft zerstoben; und doch wußte ich nicht, wie dies alles so plötzlich kommen konnte. Ich entsann mich zwar, daß gestern bei dem Punsch etwas Sonderbares vorgefallen war; was es aber gewesen sein mochte, konnte ich mich nicht erinnern.

Sollte Natas mir Aufschluß geben können? Doch, wenn ich recht nachsann, mit Natas war etwas vorgefallen; der Professor schwankte in meiner Erinnerung umher – am besten deuchte mir, zu Natas zu gehen und ihn um die Ursache des schnellen Aufbruchs zu befragen.

Ich warf mich in die Kleider, und ehe ich noch ganz mit der kurzen Toilette fertig war, brachte mir ein Lohnlakai folgendes Billet:

„Ew. Wohlgeboren würden mich unendlich verbinden, wenn Sie vor meiner Abreise von hier, die auf den Mittag festgesetzt ist, mich noch einmal besuchen wollten.
v. Natas.

Neugierig folgte ich diesem Ruf und traf den Freund reisefertig zwischen Koffern und Kästchen stehen. Er kam mir mit seiner

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 208–209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_106.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)