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Jetzt kehrten meine Erinnerungen in Scharen zurück. Ja, es war der Teufel, der sein Spiel mit uns gespielt hatte; es war der Teufel, dem es gestern Spaß gemacht hatte, uns zu ängstigen; es mußten des Teufels Memoiren sein, die ich in der Hand hielt.

Wer stand mir aber dafür, daß diese Schriftzüge mir nicht durch die Augen ins Hirn hinaufkrochen und mich wahnsinnig machten; und konnte ich mich nicht gerade dadurch, daß ich den Dechiffreur und Dekopisten des Satans machte, unbewußt in seine Leibeigenschaft hineinschreiben?

Ich packte die Handschrift in meinen Koffer und reiste dem Professor nach, um ihn um Rat zu fragen. Aber in Worms traf ich keine Spur von irgend einem der lustigen Gesellschaft in den drei Reichskronen. Entweder hat sie der Satan eingeholt und in seinem achtsitzigen Wagen in sein ewiges Reich gehaudert[1], oder hatte er mich in den April geschickt. Das letztere schien mir wahrscheinlicher.

In Worms aber traf ich einen frommen Geistlichen, der an der Domkirche angestellt war. Ich trug ihm meinen Fall vor und erhielt den Bescheid, ich solle so viele Messen darüber lesen lassen, als das Manuskript Bogen enthalte. Der Rat schien mir nicht übel. Ich reiste in meine Heimat und schickte am nächsten Sonntag den ersten Satans-Bogen in die Kirche. Probatum est; am Montag fing ich an, zu dechiffrieren, und habe noch nicht das geringste Spukhafte weder an dem Papier noch an mir bemerkt.

Von meinen Genossen in Mainz habe ich indessen wenig mehr gehört. Der Professor fährt fort, durch seine Entdeckungen in der Chemie zu glänzen, und ich fürchte, er ist auf dem Wege, dem Satan Gehör zu geben, der ihn zu einem Berzelius[2] machen will. Der Hauptmann soll sich erschossen haben, Frau von Thingen aber, die schöne Witwe, hat nach einer Anzeige im Hamburger Korrespondenten vor nicht gar langer Zeit wieder geheiratet.




[213]


I.
Die Studien des Satan
auf
der berühmten Universität …en.


 „Betrogene Betrüger! Eure Ringe sind alle drei nicht
 echt; der echte Ring vermutlich ging verloren.“
 Lessing, „Nathan“, III, 7.




Fünftes Kapitel.
Einleitende Bemerkungen.

Alle Welt schreibt oder liest in dieser Zeit Memoiren; in den Salons der großen und kleinen Residenzen, in den Ressourcen und Kasinos der Mittelstädte, in den Tabagien und Kneipen der kleinen spricht man von Memoiren, urteilt nach Memoiren und erzählt nach Memoiren, ja es könnte scheinen, es sei seit zwölf Jahren nichts Merkwürdiges mehr auf der Erde als ihre Memoiren. Männer und Frauen ergreifen die Feder, um den Menschen schriftlich darzuthun, daß auch sie in einer merkwürdigen Zeit gelebt, daß auch sie sich einst in einer Sonnennähe bewegt haben, die ihrer sonst vielleicht gehaltlosen Person einen Nimbus von Bedeutsamkeit verliehen.

Gekrönte Häupter, nicht zufrieden, sich aus ihrer frühern Grandezza, wo sie, wie in der Bilderbibel, mit der Krone auf dem Haupt zu Bette gingen, erhoben zu haben; nicht zufrieden damit, daß sie auf Kurierreisen Europa von einem Ende bis zum andern durchfliegen, um sich gegenseitig von ihrer Freundschaft zu versichern, schreiben Memoiren für ihre Völker, erzählen ihnen ihre Schicksale, ihre Reisen. Die Mitwelt ist zur Nachwelt gemacht


  1. Haudern, d. h. in einem Mietwagen fahren; hat ursprünglich die Bedeutung von „rütteln“.
  2. Joh. Jak. Freiherr von Berzelius (1770–1848), berühmter schwed. Chemiker. Sein Hauptverdienst liegt in der Ausbildung der Atomtheorie und in der Erforschung des Zusammenhanges der Elektrizität mit den chemischen Vorgängen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 212–213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_108.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)