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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

worden, man hat ihr einen neuen Maßstab, wornach sie die Handlungen richte, in die Hände gegeben; es sind die Memoiren.

Große Generale, berühmte Marschälle, weit entfernt, das Beispiel jenes Römers[1] nachzuahmen, der in der Muße des Friedens die Thaten der Legionen unter seiner Führung der Nachwelt würdig zu überliefern glaubte, wenn er von sich nur immer in der dritten Person spräche, haben den bescheideneren Weg eingeschlagen, sprechen von sich, wie es Männern von solchem Gewichte ziemt als ich, bauen aus ihren Memoiren ein Odeon in verjüngtem Maßstabe und treten herzhaft vorne auf der Bühne auf. Mit Schlachtstücken im großen Stil dekorieren sie die Kulissen, Staatsmänner und berühmte Damen, die große Armee und ihre lorbeerbekränzten Adler, die ganze Mitwelt stellen sie im Hintergrund als Figuranten auf, sie selbst aber spielen ihre Sulla oder Brutus würdig des unsterblichen Talma[2].

Mundus vult decipi[3], d. i. die Leute lesen Memoiren; was hält mich ab, denselben auch ein solches Gericht „Gerngesehen“ vorzusetzen?

Man wendet vielleicht ein, „der Schuster bleibe bei seinem Leisten, der Satan hat sich nicht mit Memoirenschreiben abzugeben“. Ei! wirklich? Und wenn nun dieser Satan doch einen Beruf hätte, Memoiren in die Welt zu streuen, wenn er doch so viel oder noch mehr gesehen hätte als jene kriegerischen Diplomaten oder diplomatischen Krieger, welche die Welt mit ihrem litterarischen Ruhme anfüllen, nachdem die Bulletins ihrer Siege zu erwähnen aufgehört haben; wenn nun dieser arme Teufel einen Drang in sich fühlte, auch für einen homo literatus zu gelten?

Ja, ich gestehe es mit Erröten, je länger ich mich in meinem lieben Deutschland umhertreibe, desto unwiderstehlicher reißt es mich hin, zu schriftstellern; und wenn es den Damen erlaubt ist, [215] die Finger mit Tinte zu beschmutzen, so wird es doch dem Teufel auch noch erlaubt sein?

Und da komme ich auf einen zweiten Punkt; man sagt vielleicht gegen meine schriftstellerischen Versuche, ich sei kein Litteratus, kein Mann vom Gewerbe etc. Aber fürs erste habe ich soeben die Damen, welche, wenn sie noch so gelehrt, doch keine Gelehrte von Profession sind, anzuführen die Ehre gehabt; sodann berufe ich mich auf jene Söhne des Lagers, die unter Gefahren groß geworden, unter Strapazen ergraut, keine Zeit hatten Humaniora zu studieren, und dennoch so glänzende Memoiren schreiben; ich behaupte drittens, daß das Vorurteil, ich sei ein unstudierter Teufel, ganz falsch ist, denn ich bin in optima forma Doktor der Philosophie geworden, wie aus meinen Memoiren zu ersehen, und kann das Diplom schwarz auf weiß aufweisen.

Der Erzengel Gabriel, als ich ihn mit dem Plan meine Memoiren auszuarbeiten bekannt machte, warnte mich mit bedenklicher Miene vor den sogenannten Rezensenten. Er gab mir zu verstehen, daß ich übel wegkommen könnte, indem solche niemand schonen, ja sogar neuerdings selbst Doktoren der Theologie in Berlin, Halle und Leipzig hart mitgenommen haben. Ich erwiderte ihm nicht ohne Gelehrsamkeit, daß das Sprichwort clericus clericum non decimat[4] füglich auch auf mein Verhältnis zu den Rezensenten angewandt werden könne; werde ich ja doch schon im Alten Testament satán, adversarius, das ist Widersacher, genannt, was ganz auch auf jene passe; den schlagendsten Beweis nehme ich aber aus dem Neuen Testament; dort werde ich διάβολος oder Verleumder genannt, da nun διαβάλλειν[5] so viel sei als acerbe recensere, so müsse er, wenn er nur ein wenig Logik habe, den Schluß von selbst ziehen können.

Der Erzengel bekam, wie natürlich, nicht wenig Respekt vor meiner Gelehrsamkeit in Sprachen und meinte selbst, daß es mir auf diese Art nicht fehlen könne.


  1. Gemeint ist Gajus Julius Cäsar (100–44 v. Chr.), der in den Werken „Commentarii de bello Gallico“ und „De bello civili“ seine Feldzüge und Beobachtungen beschreibt.
  2. François Jos. Talma (1763–1826), großer tragischer Schauspieler am Théâtre Français zu Paris.
  3. D. h. „Die Welt will betrogen sein“.
  4. D. h. „Ein Geistlicher nimmt von einem andern Geistlichen keinen Zehnten“, in der Bedeutung des Sprichwortes: „Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus.“
  5. διαβάλλω, d. h. verleumden, verlästern.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 214–215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_109.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)