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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Wenn andere Nationen durch die sogenannte Aufklärung so weit hinaufgeschraubt sind, daß sie, ich schweige von einem Gott, sogar an keinen Teufel mehr glauben, so sorgen hier unter diesem Volke sogar meine Erbfeinde, die Theologen, dafür, daß ich im Ansehen bleibe. Hand in Hand mit dem Glauben an die Gottheit schreitet bei ihnen der Glaube an mich, und wie oft habe ich das mir so süße Wort aus ihrem Munde gehört: „anathema sit, er glaubt an keinen Teufel.

Ich kann mich daher recht ärgern, daß ich nicht schon früher auf den vernünftigen Gedanken gekommen bin, meine freie Zeit auf einer Universität zu verleben, um dort zu sehen, wie man mich von Semester zu Semester systematisch traktiert.

Ich konnte nebenbei noch manches profitieren. Alle Welt ist jetzt zivilisiert, fein, gesittet, belesen, gelehrt. Schon oft, wenn ich einen guten Schnitt zu machen gedachte, fand es sich, daß mir ein guter Schulsack, etwas Philosophie, alte Litteratur, ja sogar etwas Medizin fehle; zwar, als das Magnetisieren aufkam[1], habe ich auch einen Kursus bei Meßmer[2] genommen und nachher manche glückliche Kur gemacht. Aber damit ist es heutzutage nicht gethan; daher die elenden Sprichwörter, die in Deutschland kursieren: ein dummer Teufel, ein armer Teufel, ein unwissender Teufel, was offenbar auf meine vernachlässigte wissenschaftliche Bildung hindeuten soll.

Es ist noch kein Gelehrter vom Himmel gefallen, und ich bin vom Himmel gefallen, aber nicht als gelehrt; darum entschloß ich mich, zu studieren, und womöglich es in der Philosophie so weit zu bringen, daß ich ein ganz neues System erfände, wovon ich mir keinen geringen Erfolg versprach. Ich wählte …en, und zog im Herbst des Jahres 1819 daselbst auf.

Ich hatte, wie man sich denken kann, nicht versäumt, mich meinem neuen Stande gemäß zu kostümieren. Mein Name war von Barbe, meine Verhältnisse glänzend, das heißt, ich brachte [219] einen großen Wechsel mit, hatte viel bar Geld, gute Garderobe und hütete mich wohl, als Neuling oder, wie man sagt, als Fuchs aufzutreten, sondern ich hatte schon allenthalben studiert, mich in der Welt umgesehen.

Kein Wunder, daß ich schon den ersten Abend höfliche Gesellschafter, den nächsten Morgen vertraute Freunde und am zweiten Abend Brüder auf Leben und Tod am Arm hatte. Man denkt vielleicht, ich übertreibe? wäre ich Kavalier, so würde ich auf Ehre versichern und Holmichderteufel als Verstärkungspartikel dazu setzen (denn auf Ehre und Holmichderteufel verhalten sich zu einander wie der Spiritus lenis zum Spiritus asper)[3], in meiner Lage kann ich bloß meine Parole als Satan geben.

Es waren gute Jungen, die ich da fand. Es begab sich dies aber folgendermaßen: man kann sich denken, daß ich nicht unvorbereitet kam; wer die deutschen Universitäten nur entfernt kennt, weiß, daß ein an Sprache, Sitte, Kleidung und Denkungsart von der übrigen Welt ganz verschiedenes Volk dort wohnt. Ich las des unsterblichen Herrn von Schmalz[4] Werke über die Universitäten, Sands Aktenstücke[5], Haupt über Burschenschaften und Landsmannschaften[6] etc., ward aber noch nicht recht klug daraus und merkte, daß mir noch manches abging. Der Zufall half mir aus der Not. Ich nahm in F. einen Platz in einer Retourchaise; mein Gesellschafter war ein alter Student, der seit acht Jahren sich auf die Medizin legte. Er hatte das savoir vivre eines alten Burschen, und ich befliß mich in den sechs Stunden, die ich mit ihm der Musenstadt zufuhr, an ihm meine Rolle zu studieren.

Er war ein großer, wohlgewachsener Mann von 24–25 Jahren, sein Haar war dunkel und mochte früher nach heutiger Mode


  1. Besonders seit Meßmers Versuchen in Wien 1773.
  2. Friedr. Anton Meßmer (1734–1815) war Arzt; von phantastischen Ideen erfüllt, suchte er auf Grund grober Selbsttäuschung mittels des sogen. tierischen Magnetismus allerlei Heilungen vorzunehmen, welche die medizinische Wissenschaft als Betrügereien verwarf.
  3. Griechische Schriftzeichen.
  4. Theod. Ant. Heinr. Schmalz (1760–1831), Professor der Rechte, hetzte in seiner Schrift „Berichtigung einer Stelle in der Veturinischen Chronik für das Jahr 1806“ (Berlin 1815) gegen den Tugendbund und den liberalen Geist der Zeit.
  5. Gemeint sind die Aktenstücke über den Prozeß gegen Karl Ludwig Sand (geb. 1795), der am 23. März 1819 den verhaßten Feind der freien akademischen Jugend, den russischen Staatsrat von Kotzebue, ermordet hatte und dafür am 20. Mai 1820 hingerichtet wurde.
  6. Haupts Buch „Landsmannschaften und Burschenschaft“ (Leipzig 1820).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 218–219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_111.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)