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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

für alles Volk, damit sich keines verlaufe in der Wüste, und siehe da, der Herr verwirrte ihre Sprache, daß weder Meister noch Gesellen einander mehr verstanden.

Da lobe ich mir einen andern der dortigen Philosophen; er las über die Logik und deduzierte jahrein jahraus, daß zweimal zwei vier sei, und die Herren Studiosi schrieben ganze Stöße von Heften, daß zweimal zwei vier sei. Dieser Mann blieb doch ordentlich im Blachfeld und wanderte seinem Ziele mit größerer Gelassenheit zu als seine illustren Kollegen, die, wenn ein anderer ihr Gewäsche nicht Evangelium nannte, Antikritiken und Metakritiken der Antikritiken in alle Welt aussandten.

Ich gestehe redlich, der Teufel amüsiert sich schlecht bei so bewandten Dingen. Ich schlug den Weg zu einem andern Hörsaal ein, wo man über die Seele des Menschen dozierte. Gerechter Himmel! wenn ich so viel Umstände machen müßte, um eine lüderliche Seele in mein Fegefeuer zu deduzieren! Der Mensch auf dem Katheder malte die Seele auf eine große, schwarze Tafel und sagte, „so ist sie, meine Herren“, damit war er aber nicht zufrieden, er behauptete, sie sitze oben in der Zirbeldrüse.

Ich quittierte die Philosophen und besuchte die Theologen. Um meine Leute näher kennen zu lernen, beschloß ich, an einem Sonntag nach der Kirche einem oder dem andern meine Visite abzustatten. Ich kleidete mich ganz schwarz, daß ich ein ziemlich theologisches Air hatte, und trat meinen Marsch an; man hatte mir vorhergesagt, ich sollte keinen zu voreiligen Schluß auf den reinen und frommen Charakter dieser Männer machen, sie seien etwas nach dem alttestamentarischen Kostüm, vernachlässigen äußere Bildung und fallen dadurch leicht ins Linkische.

Mein Herz mit Geduld gewaffnet, trat ich in das Zimmer des ersten Theologen. Aus einer bläulichen Rauchwolke erhob sich ein dicker, ältlicher Mann in einem großgeblümten Schlafrock, eine ganz schwarze Meerschaumpfeife in der Hand. Er machte einen kurzen Knix mit dem Kopf und sah mich dann ungeduldig und fragend an. Ich setzte ihm auseinander, wie mich die Philosophie gar nicht befriedige, und daß ich gesonnen sei, einige theologische Kollegien zu besuchen. Er murmelte einige unverständliche, [227] aber, wie es schien, gelehrte Bemerkungen, verzog beifällig lächelnd den Mund und schritt im Zimmer auf und ab.

Ich setzte die Einladung, ihn auf seinem Spaziergang zu begleiten, voraus und schritt in ebenso gravitätischen Schritten neben ihm her, indem ich aufmerksam lauschte, was sein gelehrter Mund weiter vorbringen werde. Vergebens! Er grinzte hie und da noch etwas weniges, sprach aber kein Wort weiter, wenigstens verstand ich nichts als die Worte: „Pfeife rauchen?“ ich merkte, daß er mir höflich eine Pfeife anbiete, konnte aber keinen Gebrauch davon machen, denn er rauchte wahrhaftig eine gar zu schlechte Nummer.

Ich habe mir schon lange abgewöhnt, über irgend etwas in Verlegenheit zu geraten, sonst hätte dieses absurde Schweigen des Professors mich gänzlich außer Fassung gebracht. So aber ging ich gemächlich neben ihm her, kehrte um, wenn er umkehrte, und zählte die Schritte, die sein Zimmer in der Länge maß. Nachdem ich das alte Ameublement, die verschiedenen Kleider- und Wäscherudera, die auf den Stühlen umherlagen, das wunderliche Chaos seines Arbeitstisches gemustert hatte, wagte ich meine prüfenden Blicke an den Professor selbst. Sein Aussehen war höchst sonderbar. Die Haare hingen ihm dünn und lang um die Glatze, die gestrickte Schlafmütze hielt er unter dem Arm. Der Schlafrock war an den Ellbogen zerrissen und hatte verschiedene Löcher, die durch Unvorsichtigkeit hineingebrannt schienen. Das eine Bein war mit einem schwarzseidenen Strumpf und der Fuß mit einem Schnallenschuh bekleidet, der andere stak in einem weiten, abgelaufenen Filzpantoffel, und um das halbentblößte Bein hing ein gelblicher Socken. Ehe ich noch während dem unbegreiflichen Stillschweigen des Theologen meine Bemerkungen weiter fortsetzen konnte, wurde die Thüre aufgerissen, eine große dürre Frau mit der Röte des Zorns auf den schmalen Wangen, stürzte herein.

„Nein, das ist doch zu arg, Blasius!“ schrie sie, „der Küster ist da und sucht dich zum Abendmahl; der Dekan steht schon vor dem Altar und du steckst noch im Schlafrock?“

„Weiß Gott, meine Liebe“, antwortete der Doktor gelassen, „das habe ich häßlich vergessen! doch sieh’, einen Fuß hatte ich

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 226–227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_115.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)