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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

wurden in eine andere Lage gebracht, die Federn ausgespritzt und neu beschnitten – alles deutete darauf hin, daß jetzt ein Hauptschlag geschehen werde.

Und es war so; der große Theologe, nachdem er die Meinungen anderer aufgeführt und gehörig gewürdigt hatte, begann jetzt mit Salbung und Würde seine eigene Meinung zu entwickeln.

Er sagte, daß alle diese Erklärungen nichts taugen, indem sie keinen passenden Sinn geben; er wisse eine ganz andere und glaube sich in diesem Stück noch über Michaelis[1] und Döderlein[2] stellen zu dürfen. Er lese nämlich Saephael, und das bedeute Kot, Mist und dergleichen. Der Teufel oder Beelzebub würde also hier der „Herr im Dreck“, „der unreinliche“,Τὸ πνεῦμα ἀκάζαρτον[3], „der Stinker“ genannt, wie denn auch im Volksglauben mit den Erscheinungen des Satans ein gewisser unanständiger Geruch verbunden sei.

Ich traute meinen Ohren kaum; eine solche Sottise war mir noch nie vorgekommen; ich war im Begriff, den orthodoxen Exegeten mit dem nämlichen Mittel zu bedienen, das einst Doktor Luther, welcher gar keinen Spaß verstand, an mir probierte, ihm nämlich das nächste beste Tintenfaß an den Kopf zu werfen; aber es fiel mir bei, wie ich mich noch besser an ihm rächen könnte, ich bezähmte meinen Zorn und schob meine Rache auf.

Der Doktor aber schlug im Bewußtsein seiner Würde das Heft zu, stand auf, bückte sich nach allen Seiten und schritt nach der Thüre; die tiefe Stille, welche im Saal geherrscht hatte, löste sich in ein dumpfes Gemurmel des Beifalls auf.

„Welch ein gelehrter Mann, welch tiefer Denker, welche Fülle der tiefsten Gelehrsamkeit!“ murmelten die Schüler des großen Exegeten. Emsig verglichen sie untereinander ihre Hefte, ob ihnen auch kein Wörtchen von seinen schlagenden Beweisen, von seinen [231] kühnen Behauptungen entgangen sei; und wie glücklich waren sie, wenn auch kein Jota fehlte, wenn sie hoffen durften, ein dickes, reinliches, vollständiges Heft zu bekommen.

Sobald sie aber die teuren Blätter in den Mappen hatten, waren sie die Alten wieder; man stopfte sich die ellenlangen Pfeifen, man setzte die Mütze kühn auf das Ohr, zog singend oder den großen Hunden pfeifend ab, und wer hätte den Jünglingen, die im Sturmschritt dem nächsten Bierhaus zuzogen, angesehen, daß sie die Stammhalter der Orthodoxie seien und recta via von der kühnsten Konjektur des großen Dogmatikers herkommen?

So schloß sich mein erster theologischer Unterricht, ich war, wenn nicht an Weisheit und Einsicht, doch um einen Begriff meiner selbst, an den ich nie gedacht hätte, reicher geworden.

Ich schwor mir selbst mit den heiligsten Schwüren, keinen Theologen dieser finstern Schule mehr zu hören. Denn wenn der Oberste unter ihnen solche krasse Begriffe zu Markt brachte, was durfte ich von den übrigen hoffen? Aber der orthodoxen Saephael oder Dr–ck-Seele hatte ich Rache geschworen, und ich war Manns genug dazu, sie auszuführen.





Achtes Kapitel.
Der Satan bekömmt Händel und schlägt sich; Folgen davon.

Indessen ereignete sich etwas anderes, das ich hier nicht übergehen darf, weil es als ein Kommentar zu den Sitten des wunderlichen Volkes, unter welchem ich lebte, dienen kann. Ich hatte schon seit einiger Zeit fleißig die Anatomie besucht, um auch die Ärzte kennen zu lernen, da geschah es eines Tages, daß ich mit mehreren Freunden um ein Kadaver beschäftigt war, indem ich ihnen durch Zergliederung der Organe des Hirns, des Herzens etc. die Nichtigkeit des Glaubens an Unsterblichkeit darzuthun suchte.

Auf einmal höre ich hinter mir eine Stimme: „Pfui Teufel, wie riecht’s hier!“

Ich wandte mich rasch um und erblickte einen jungen Theologen, der mich schon in jener dogmatischen Vorlesung durch den


  1. Joh. David Michaelis (1717–91), namhafter protestantischer Theolog und Begründer der historisch-kritischen Erklärung des Alten Testaments.
  2. Joh. Christoph Döderlein (1745–92), hervorragender protestantischer Theolog; von besonderer Bedeutung sind seine Schriften: „Curae criticae et exegeticae in quaedam Veteris Testamenti oracula“, Altdorf 1770, und „Institutio theologiae christianae“, Altdorf 1780.
  3. D. h. unreine Luft.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 230–231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_117.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)