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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

bringen muß! – Domine Collega, Herr Doktor Pfeffer, was stimmen Sie?“

„Es ist eigentlich noch kein Votum zur Abstimmung vorgebracht und zur Reife gediehen, ich rate aber, Herrn von Barbe bis auf weiteres zu entlassen, und ihm –“

„Richtig, gut“, rief der Rektor, „Sie können abtreten, wertgeschätzter junger Freund, beruhigen Sie Ihre Kameraden, Sie sehen selbst, wie glimpflich wir mit Ihnen verfahren sind, und zu einer gelegeneren Stunde werden wir uns wieder die Ehre ausbitten; damit aber die Sache kein solches Aufsehen mehr erregt – weiß Gott, der Aufruhr steigt, ich höre pereat – so kommen Sie morgen abend alle zum Thee zu mir, Sie auch, lieber Barbe, da denn die Sachen weiter besprochen werden können.“

Ich konnte mich kaum enthalten, den ängstlichen Herren ins Gesicht zu lachen. Sie saßen da, wie von Gott verlassen und wünschten sich in Abrahams Schoß, das heißt in den ruhigen Hafen ihres weiten Lehnstuhls.

„Was steht nicht von einer erhitzten Jugend zu erwarten?“ klagten sie; „seitdem etzliche Lehrer von den Kathedern gestiegen sind und sich unter diese himmelstürmende Kyklopen gemischt haben, ist keine Ehrfurcht, kein Respekt mehr da. Man muß befürchten, wie schlechte Schauspieler ausgepfiffen oder am hellen Tage insultiert zu werden.“

„Vom Erstechen will ich gar nicht reden“, sagte ein anderer, „es sollte eigentlich jeder Litteratus, der nicht alle Wege ein gut Gewissen hat, einen Brustharnisch unter dem Kamisol tragen.“

Indessen die Philister also klagten, dankte ich meinen Kommilitonen für ihre Aufmerksamkeit für mich, sagte ihnen, daß sie nachts viel bessere Gelegenheit zum Fenstereinwerfen haben, und bewog sie durch Bitten und Vorstellungen, daß sie abzogen. Sie marschierten in geschlossenen Reihen durch das erschreckte Städtchen und sangen ihr „Ça ira, ça ira“[1], nämlich: „Die Burschen-Freiheit lebe“ und das erhabene „Rautsch, rautsch, rautschitschi, Revolution!“

[245] Ich ging wieder in den Saal zurück und sagte den noch versammelten Herren, daß sie gar nichts zu befürchten haben, weil ich die Herrn Studiosen vermocht habe, nach Hause zu gehen. Beschämung und Zorn rötete jetzt die bleichen Gesichter, und mein bißchen Psychologie mußte mich ganz getäuscht haben, wenn mich die Herren nicht ihre Angst entgelten ließen. Und gewiß! meine Ahnung hatte mich nicht betrogen. Magnifikus ging ans Fenster, um sich selbst zu überzeugen, daß die Aufrührer abgezogen seien; dann wendete er sich mit erhabener Miene zu mir, und er, der noch vor einer Viertelstunde „mein wertgeschätzter Freund“ zu mir sagte, herrschte mir jetzt zu: „Wir können das Verhör weiter fortführen, Delinquent mag sich setzen!“

So sind die Menschen; nichts vergißt der Höhere so leicht, als daß der Niedere ihm in der Stunde der Not zu Hülfe eilte, nichts sucht er sogar eifriger zu vergessen, als jene Not, wenn er sich dabei eine Blöße gegeben, deren er sich zu schämen hat.

Nach der Miene des Magnifikus richteten sich auch die seiner Kollegen. Sie behandelten mich grob und mürrisch. Der Rektor entwickelte mit großer Gelehrsamkeit den ersten Anklagepunkt.

„Demagog kömmt her von δημος und ἀγειν. Das eine heißt Volk, das andere führen oder verführen. Wer ist nach diesem Begriff mehr Demagog, als Sie? Haben wir nicht in Erfahrung gebracht, daß Sie die jungen Leute zum Trinken verleiteten? Daß Sie neue Lieder und Kartenspiele hieher verpflanzten? Auch von andern Orten werden diese Sachen als die sichersten Symptome der Demagogie angeführt; folglich sind Sie ein Demagog.“

Mit triumphierendem Lächeln wandte er sich zu seinen Kollegen; „Habe ich nicht recht, Doktor Pfeffer? Nicht recht, Herr Professor Saper?“ – „Vollkommen, Euer Magnifizenz“, versicherten jene und schnupften.

„Zweitens, jetzt kommt der andere Punkt“, fuhr der Mediziner fort; „das Turnen ist eine Erfindung des Teufels und der Demagogen, es ist, um mich so auszudrücken, eine vaterlandsverräterische Ausbildung der körperlichen Kräfte. Da nun die Turnplätze eigentlich die Tierparks und Salzlecken des demagogischen Wildes, Sie aber, wie wir in Erfahrung gebracht haben,


  1. Bekanntes französisches Revolutionslied (carillon national) von 1789 mit dem Refrain: „Ah! ça ira, ça ira, ça ira! Les aristocrats à la lanterne!“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 244–245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_124.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)