Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 130.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Der Dichter, zu welchem mich der Ewige Jude führte, ein Mann in mittleren Jahren, nahm uns sehr artig auf. Der Jude hieß sich Doktor Mucker und stellte in mir seinen Eleven, den jungen Baron von Stobelberg, vor. Ich richtete meine äußere Aufmerksamkeit bald auf die schönen Kupferstiche an der Wand, auf die Titel der vielen Bücher, die umherstanden, um desto ungeteilter mein Ohr und, wenn es unbemerkt möglich war, auch mein Auge an der Unterhaltung teilnehmen zu lassen.

Der alte Mensch begann mit einem Lob über die Novelle vom Ewigen Juden; der Dichter aber, viel zu fein und gebildet, als daß er seinen Gast hätte auf diesem Lob stehen lassen, wandte das Gespräch auf die Sage vom Ewigen Juden überhaupt, und daß sie in ihm auf jene Weise aufgegangen sei. Der Ewige schnitt, zur Verwunderung des Dichters, grimmige Gesichter, als dieser unter anderm behauptete: es liege in der Sage vom Ewigen Juden eine tiefe Moral, denn der Verworfenste unter den Menschen sei offenbar immer der, welcher seinen Schmerz über getäuschte Hoffnung gerade an dem auslasse, der diese Hoffnungen erregt habe; besonders verworfen erscheine er, wenn zugleich der, welcher die Hoffnung erregte, noch unglücklicher erscheine als der, welcher sich täuschte.

Es fehlte wenig, so hätte der Herr Doktor Mucker sein Inkognito abgelegt und wäre dem wirklich genialen Dichter als Ewiger Jude zu Leib gegangen. Noch verwirrter wurde aber mein alter Hofmeister, als jener das Gespräch auf die neuere Litteratur brachte. Hier ging ihm die Stimme völlig aus, und er sah die nächste beste Gelegenheit ab, sich zu empfehlen.

Der brave Mann lud uns ein, ihn noch oft zu besuchen, und kaum hatte er gehört, wir seien völlig fremd in Berlin und wissen noch nicht, wie wir den Abend zubringen sollen, so bat er uns, ihn in ein Haus zu begleiten, wo alle Montag ausgesuchte Gesellschaft von Freunden der schönen Litteratur bei Thee versammelt sei; wir sagten dankbar zu und schieden.




[257]

Zwölftes Kapitel.
Satan besucht mit dem Ewigen Juden einen ästhetischen Thee.

Ahasverus war den ganzen Tag über verstimmt; gerade das, daß er in seinem Innern dem Dichter recht geben mußte, genierte ihn so sehr. Er brummte einmal über das andere über die „naseweise Jugend“ (obgleich der Dichter jener Novelle schon bei Jahren war) und den Verfall der Zeiten und Sitten. Trotz dem Respekt, den ich gegen ihn als meinen Hofmeister hätte haben sollen, sagte ich ihm tüchtig die Meinung und brachte den alten Bären dadurch wenigstens so weit, daß er höflich gegen den Mann sein wollte, der so artig war, uns in den ästhetischen Thee zu führen.

Die siebente Stunde schlug; in einem modischen Frack, wohl parfümiert, in die feinste, zierlichst gefältete Leinwand gekleidet, die Beinkleider von Paris, die durchbrochenen Seidenstrümpfe von Lyon, die Schuhe von Straßburg, die Lorgnette so fein und gefällig gearbeitet, wie sie nur immer aus der Fabrik der Herren Lood in Werenthead hervorgeht, so stellte ich mich den erstaunten Blicken des Juden dar; dieser war mit seiner modischen Toilette noch nicht halb fertig und hatte alles höchst sonderbar angezogen, wie er z. B. die elegante, hohe Krawatte, ein Berliner Meisterwerk, als Gurt um den Leib gebunden hatte und fest darauf bestand, dies sei die neueste Tracht auf Morea.

Nachdem ich ihn mit vieler Mühe geputzt hatte, brachen wir auf. Im Wagen, den ich, um brillanter aufzutreten, für diesen Abend gemietet hatte, wiederholte ich alle Lehren über den gesellschaftlichen Anstand.

„Du darfst,“ sagte ich ihm, „in einem ästhetischen Thee eher zerstreut und tief denkend als vorlaut erscheinen; du darfst nichts ganz unbedingt loben, sondern sieh’ immer so aus, als habest du sonst noch etwas in petto, das viel zu weise für ein sterbliches Ohr wäre. Das Beifalllächeln hochweiser Befriedigung ist schwer und kann erst nach langer Übung vor dem Spiegel völlig erlernt werden; man hat aber Surrogate dafür, mit welchen man etwas sehr loben und bitter tadeln kann, ohne es entfernt gelesen zu haben.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 256–257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_130.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)