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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Die Damen waren nach einigen gleichgültigen Gesprächen aufgestanden und hatten sich der Stadt zugewendet; leise stand ich auf und schlich mich ihnen nach, wie ein Schatten ihren Fersen folgend; sie gingen durch die Promenade, ich folgte; sie kehrten um und gingen durchs Thor, ich folgte; sie schienen endlich meine Beobachtungen zu bemerken, denn die eine sah sich einigemal nach mir um, ihr böses Gewissen schien mir erwacht, sie mochte ahnen, daß ich den Mord wisse, sie will mich durch die verschiedene Richtung der Straßen, die sie einschlägt, täuschen, aber ich – folge. Endlich stehen sie an einem Hause still; sie ziehen die Glocke, man schließt auf, sie treten ein. Kaum sind sie in der Thüre, so gehe ich schnell heran, merke mir die Nummer des Hauses und eile, getrieben von jenem Eifer, den die Entdeckung eines so schauerlichen Geheimnisses in jedem aufregen muß, auf die Direktion der Polizei.

Ich bitte den Direktor um geheimes Gehör; ich lege ihm die ganze Sache, alles, was ich gehört hatte, auseinander; weiß aber leider von den Gemordeten keine mit ihrem wahren Namen anzugeben, als eine gewisse Pauline Dupuis, die im Jahre 1801 unter der mörderischen Hand jener Frau starb. Doch war dies dem unter solchen Fällen ergrauten Polizeimann genug; er dankt mir für meinen Eifer, schickt sogleich Patrouillen in die Straße, die ich ihm bezeichnete, und fordert mich auf, ihn, wenn die Nacht vollends herangebrochen sein werde, in jenes Haus zu begleiten; die Nacht wähle er lieber dazu, da er bei solchen Auftritten den Zudrang der Menschen und das Aufsehen womöglich vermeide.

Die Nacht brach an, wir gingen; die Polizeisoldaten, die das Haus umstellt hatten, versicherten, daß noch kein Mensch dasselbe verlassen habe. Der Vogel war also gefangen. Wir ließen uns das Haus öffnen und fingen im ersten Stock unsere Untersuchung an. Gleich vor der Thüre des ersten Zimmers hörte ich die Stimmen jener beiden Frauen; ohne Umstände öffne ich und deute dem Polizeidirektor die kleinere, ältliche Dame als die Verbrecherin an.

Verwundert stand diese auf, trat uns entgegen und fragte nach unserem Begehr; in ihrem Auge, in ihrem ganzen Wesen hatte diese Dame etwas, das mir imponierte; ich verlor auf einen [269] Augenblick die Fassung und deutete nur auf den Direktor, um sie wegen ihrer Frage an jenen zu weisen. Doch dieser ließ sich nicht so leicht verblüffen; mit der ernsten Amtsmiene eines Kriminalrichters fragte er sie über ihren heutigen Spaziergang aus; sie gestand ihn zu, wie auch die Bank, wo sie gesessen; ihre Aussagen stimmten ganz zu den meinigen, der Mann sah sie schon als überwiesen an; die Frau fing an, ängstlich zu werden, sie fragte, was man denn von ihr wolle, warum man ihr Haus, ihr Zimmer mit Bewaffneten besetze, warum man sie mit solchen Fragen bestürme?

Der Mann der Polizei sah in diesem ängstlichen Fragen nur den Ausbruch eines schuldbeladenen Gewissens; er schien es für das beste zu halten, durch eine verfängliche Frage ihr vollends das Verbrechen zu entlocken: ‚Madame, was haben Sie Anno 1801 mit Pauline Dupuis angefangen? Leugnen Sie nicht länger, wir wissen alles, sie starb durch Ihre Hand, wie heute früh die unglückliche Elise!‘

‚Ja, mein Herr! Ich habe die eine wie die andere sterben lassen‘, antwortete diese Frau mit einer Seelenruhe, die sogar in ein boshaftes Lächeln überzugehen schien.

‚Und diesen Mord gestehen Sie mit so viel Gleichmut, als hätten Sie zwei Tauben abgethan?‘ fragte der erstaunte Polizeidirektor, dem in Praxi eine solche Mörderin noch nicht vorgekommen sein mochte; ‚wissen Sie, daß Sie verloren sind, daß es Ihnen den Kopf kosten kann?‘

‚Nicht doch!‘ entgegnete die Dame, ‚die Geschichte ist ja weltbekannt‘. – ‚Weltbekannt?‘ rief jener, ‚bin ich nicht schon seit zweiundvierzig Jahren Polizeidirektor? Meinen Sie, dergleichen könne mir entgehen?‘

‚Und dennoch werde ich recht haben, erlauben Sie, daß ich Ihnen die Belege herbeibringe?‘

‚Nicht von der Stelle ohne gehörige Bewachung; Wache! zwei Mann auf jeder Seite von Madame; bei dem ersten Versuch zur Flucht – zugestoßen!‘

Vier Polizeidiener mit blanken Seitengewehren begleiteten die Unglückliche, die mir den Verstand verloren zu haben schien. Bald jedoch erschien sie wieder, ein kleines Buch in der Hand.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 268–269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_135.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)