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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Ausdruck und kurzes, richtiges Urteil. Er war groß und schlank gebaut, männlich schön, nur vielleicht für manche etwas zu mager. Sein Auge war glänzend und hatte jenen Ausdruck stillen Beobachtens, der einen Menschenkenner oder wenigstens einen Mann verriet, der das Leben und Treiben der großen und kleinen Welt in vielerlei Formen gesehen und darüber gedacht hatte.

Er hatte, was mich sehr günstig für ihn stimmte, an dem Gespräch des Ewigen Juden und an seiner Persiflage mit keinem Wort, ich möchte sagen, mit keiner Miene teilgenommen. Zum erstenmal an diesem ganzen Abend entlockte ihm die Frage seiner Tante ein Lächeln, das sein Gesicht, besonders den Mund noch viel angenehmer machte; wahrlich, in diesen Mann hätte ich mich, wenn ich eines der anwesenden Fräulein gewesen wäre, unbedingt verlieben müssen; aber freilich, junge Damen haben hierüber ganz andere Ansichten als der Teufel, und das einfache schwarze Gewand des jungen Mannes konnte natürlich die glänzende Gardeuniform und ihren kühnen, die drallen Formen zeigenden Schnitt nicht aufwiegen.




Vierzehntes Kapitel.
Der Fluch. (Novelle.)

„Ich habe mich vergebens abgemüht, gnädige Tante“, sprach der junge Mann mit voller, wohltönender Stimme, „eine artige Novelle oder eine leichte, fröhliche Erzählung für diesen Abend zu ersinnen. Doch um nicht wortbrüchig zu erscheinen, muß ich schon den Fehler einigermaßen gut zu machen suchen. Wenn Sie erlauben, will ich etwas aus meinem eigenen Leben erzählen, das, wenn es nicht ganz den romantischen Reiz und den anziehenden Gang einer Novelle, doch immer den Wert der Wahrheit für sich hat.“

Die Tante bemerkte ihm gütig, daß die einfache Wahrheit oft größern Reiz habe, als die erfundene Spannung einer Novelle, ja sie gestand ihm, daß sie etwas sehr Interessantes erwarte, denn er sehe seit der Zurückkunft von seinen Reisen so geheimnisvoll aus, daß man auf seine Begebnisse recht gespannt sein dürfe.

[275] Die älteren Damen lorgnettierten ihn aufmerksam und gaben dieser Bemerkung vollkommen Beifall; der junge Mann aber hub an zu erzählen:

„Als ich vor fünf Jahren in diesem Saal von einer großen Gesellschaft, welche die Güte meiner Tante noch einmal um den Scheidenden versammelt hatte, Abschied nahm, warnten mich einige Damen – wenn ich nicht irre, war Frau von Wollau mit davon – vor den schönen Römerinnen, vor ihren feurigen, die Herzen entzündenden Blicken. Ich nahm ihre Warnung dankbar an, noch kräftigeren Schutz aber versprach ich mir von jenen holden blauen Augen, von jenen freundlichen vaterländischen Gesichtchen, von all den lieblichen Bildern, die ich, in feinem und treuem Herzen aufbewahrt, mit über die Alpen nahm.

Und sie schützten mich, diese Bilder, gegen jene dunkeln Feuerblicke der Römerinnen; wie sie aber vor sanften blauen Augen, welche ich dort sah, sich unverantwortlich zurückzogen, wie sie mein armes, unbewahrtes Herz ohne Bedeckung ließen, will ich als bittere Anklage erzählen.

Der s…sche Gesandte am päpstlichen Hofe hatte mir in der Karwoche eine Karte zu den Lamentationen[1] in der Sixtinischen Kapelle geschickt; mehr, um den alten Herrn, der mir schon manche Gefälligkeit erwiesen hatte, nicht zu beleidigen, als aus Neugierde, entschloß ich mich, hinzugehen. Ich war nicht in der besten Laune, als es Abend wurde, statt einer lustigen Partie, wozu mich deutsche Maler geladen, sollte ich einen Klaggesang mit anhören, der mir schon an und für sich höchst lächerlich vorkam.

Nie hatte ich mich nämlich von der Heiligkeit solcher Ritualien überzeugen können, selbst in dem ehrwürdigen Kölner Dom, wo die hohen Gewölbe und Bogen, das Dunkel des gebrochenen Lichtes, die mächtigen vollen Töne der Orgel manchen andern ernster stimmen mögen, konnte ich nur über die Macht der Täuschung staunen.


  1. Die Lamentationen, das sind die drei Abschnitte der Klagelieder Jeremiä, werden in der katholischen Kirche während der drei letzten Tage der Karwoche in einem bestimmten Gesange, Nocturnus genannt abgesungen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 274–275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_138.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)