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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Nachbarin noch immer auf den Knien niedergesunken lag. Ich faßte mir ein Herz.

‚Signora‘, sprach ich, ‚die Thore werden geschlossen, wir sind die letzten in der Kapelle.‘

Keine Antwort. Ich faßte ihre Rechte, die auf der Seite niederhing, sie war kalt und ohne Leben. Sie lag in Ohnmacht.

Ich befand mich in sonderbarer Lage. Die Nacht war schon weit vorgerückt; nur noch einige Flambeaus[1] zogen durch die Kirche, ich mußte alle Augenblicke befürchten, vergessen zu werden. Ich besann mich nicht lange, rief einen der Fackelträger herbei, um mit seiner Hülfe die Dame aufzurichten.

Wie ward mir, als ich den Schleier aufschlug. Der düstere Schein der halbverlöschten Fackel fiel auf ein Gesicht, wie ich es auch auf den herrlichsten Kartons von Raffael nie gesehen! Glänzendbraune Locken hatten sich aufgelöst und fielen herab bis in den verhüllten Busen und umzogen das liebliche Oval ihres Angesichtes, auf dem sich eine durchsichtige Blässe gelagert hatte. Die schönen Bogen der Brauen versprachen ein ernstes, vielleicht etwas schelmisches Auge, und den halbgeöffneten Mund, umkleidet mit den weißesten Perlen, konnte Gram, konnte Scherz so gezogen haben.

Als wir sie aufrichten wollten, schlug sie das herrliche, blaue Auge auf, dessen eigener, schwärmerischer Glanz mich so überraschte, daß ich einige Zeit mich zu sammeln nötig hatte. Sie richtete sich plötzlich auf, stand nun in ihrer ganzen Schöne mir gegenüber. Welch’ zarte Formen bei so vielem Anstand, bei so ungewöhnlicher Höhe des Wuchses. Sie schaute verwundert in der Kirche umher, ließ dann ihre Blicke auf mich herübergleiten:

‚Und Sie hier, Otto?‘ sprach sie, nicht italienisch, nein, in reinem, wohlklingendem Deutsch.

Wie war mir doch so wunderbar! Sie sprach so bekannt zu mir, ja sogar meinen Namen hatte sie genannt; woher konnte sie ihn wissen? – Sie schien verwundert über mein Schweigen.

[279] ‚Nicht bei Laune, Freund? und doch haben Sie mich so freundlich unterstützt? Doch! lassen Sie uns gehen, es wird spät.‘

Sie hatte recht. Die Fackel drohte zu verlöschen. Ich gab ihr den Arm. Sie drückte zärtlich meine Hand.

Was sollte ich denken, was sollte ich machen? Betrug von ihr war nicht möglich, – das Mädchen konnte keine Dirne sein. Verwechslung war offenbar. Aber sie wußte mich bei meinem Namen zu nennen, sie war so ohne Arg. – Ich wagte es – ich übernahm die Rolle eines verstimmten Verehrers und schritt schweigend mit ihr durch die Hallen.

Am Portal geht mein Jammer von neuem an. Welche Straße sollt’ ich wählen, um nicht sogleich meine wahre Unbekanntschaft zu verraten? Ich nahm allen meinen Mut zusammen und schritt auf die mittlere Straße zu.

‚Mein Gott‘, rief sie aus und zog meinen Arm sanft seitwärts, ‚Otto, wo sind Sie nur heute, hier wären wir ja an die Tiber gekommen.‘

O! wie hörte ich so gerne diese Stimme! Wie lieblich klingt unsere Sprache in einem schönen Munde. Schon oft hatte ich die Römerinnen beneidet um den Wohllaut ihrer Töne; hier war weit mehr, als ich je in Rom gehört; es mußte offenbar ein deutsches Mädchen sein, ich sah es aus allem, und doch so reine, runde Klänge ihrer Sprache! Als ich noch immer schwieg, brach sie in ein leises Weinen aus. Ihr thränendes Auge sah mich wehmütig an, ihre Lippen wölbten sich, wie wenn sie einen Kuß erwarteten.

‚Bist du mir nicht mehr gut, mein Otto? Ach könntest du mir zürnen, daß ich die Lamentationen hörte? O! zürne mir nicht. Doch du hast recht, wäre ich lieber nicht hingegangen. Ich glaubte Trost zu finden, und fand keinen Trost, keine Hoffnung. Alle meine Lieben schienen dem Grab entstiegen, schienen über die Alpen zu wehen und mit Tönen der Klage mich zu sich zu rufen. Wie bin ich so allein auf der Erde‘, weinte sie, indem ihr blaues Auge in das nächtliche Blau des Himmels tauchte, ‚wie bin ich so allein – und wenn ich dich nicht hätte, mein Otto …‘

Meine Lage grenzte an Verzweiflung; das schönste, lieblichste Kind im Arme und doch nicht sagen können, wie ich sie liebte!


  1. Französisch, d. h. Fackeln.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 278–279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_140.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)