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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Als ihre Thränen noch nicht aufhören wollten, flüsterte ich endlich leise: ‚Wie könnte ich dir zürnen?‘

Sie schaute freudig dankbar auf. – ‚Du bist wieder gut? und o! wie siehst du heute doch gar nicht so finster aus, auch deine Stimme klingt heute so weich! Sei auch morgen so und laß nicht wieder einen ganzen langen Tag auf dich warten.‘

Sie näherte sich einem Haus und blieb davor stehen, indem sie die Glocke zog. ‚Und nun gute Nacht, mein Herz‘, sagte sie, ‚wie gerne säß’ ich noch zu dir auf die Bank, aber die Signora wartet wohl schon zu lange.‘ Ich wußte nicht wie mir geschah, ich fühlte einen heißen Kuß auf meinen Lippen und weg war sie.

Ich merkte mir die Nummer des Hauses, aber die Straße konnte ich nicht erkennen. Nur einen Brunnen und gegenüber von ihrem Haus eine Madonna in Stein gehauen konnte ich als Zeichen für die Zukunft anmerken. Ich wand mich mit unsäglicher Mühe durch das Gewirre der Straßen und war doch nicht froh, als ich endlich mein Haus erreichte. Bis an den lichten Morgen kein Schlaf. Zuerst ließ mich der Mond nicht schlafen, der mich durchs Fenster herein angrinste, und als ich die Gardine vorzog, schien gar der Engelkopf des Mädchens hereinzublicken; mitunter zogen auch die Lamentationen durch meinen wirren Kopf, und ich verwünschte endlich ein Abenteuer, das mich eine schlaflose Nacht kostete.

Sehr frühe am andern Morgen traten Lord Parter und einer seiner Freunde bei mir ein. Sie wollten mir begegnet sein, als ich meine rätselhafte Schöne zu Haus brachte, und schalten mich neckend, daß ich sie gestern gänzlich verleugnet habe. Als ich ihnen mein Abenteuer dem größern Teil nach erzählte, wurden sie noch ungestümer und behaupteten, mich deutlich schon mehreremal mit derselben Dame gesehen zu haben. Immer klarer ward mir, daß irgend ein Dämon sich in meine Gestalt gehüllt habe, da ja auch das Mädchen mich so genau zu kennen schien, und ich war nicht minder begierig, das liebe Mädchen, als das leibhafte Konterfei meiner Gestalt zu Gesicht zu bekommen. Die beiden Engländer mußten mir Stillschweigen geloben, [281] indem ich mich vor dem Spott meiner Bekannten fürchtete, zugleich versprachen sie auch, mir suchen zu helfen.

Nach langem Umherirren, wobei wir tausend Lügen ersinnen mußten, um die erwachende Neugierde unserer Freunde zu täuschen, fanden wir endlich in dem entlegensten Winkel der Stadt jene Merkzeichen, die Madonna und den Brunnen. Ich sah das Haus der Holden, ich sah die Bank an der Thüre, auf welcher ich hätte selig werden sollen, aber hier ging auch unser Weg zu Ende. Als Fremde hätten wir zu viel gewagt, so weit entfernt von den uns bekannten Straßen, unter einer Menschenklasse, die besonders den Engländern so gram ist, uns in ein fremdes Haus einzudrängen. Wir zogen mehreremal durch die Straße, immer war die Thüre verschlossen, immer die Fenster neidisch verhängt. Wir verteilten uns, bewachten tagelang die Promenaden, weder meine Schöne noch mein Ebenbild ließen sich sehen.

Geschäfte riefen mich in dieser Zeit nach Neapel. So angenehm mir sonst diese Reise gewesen wäre, so war sie mir in meiner gegenwärtigen Spannung höchst fatal. Unaufhörlich verfolgte mich das Bild des Mädchens, im Traum wie im Wachen hörte ich die liebliche Stimme flüstern. Hatten mich die Gesänge in der Kapelle so weich gestimmt, hatte das flüchtige Bild der Schönen vermocht, was der Geist und die Schönheit so mancher andern nicht über mich vermochte?

Unruhig reiste ich ab. Die Reise, so viele abwechselnde Gegenstände, die ernsten Geschäfte, der Reiz der Gesellschaft, nichts gab mir meine Ruhe wieder.

Es war die Zeit des Karnevals, als ich nach Rom zurückkehrte. Durfte ich hoffen, im Gewühle der Menge den Gegenstand meiner Sehnsucht herauszufinden? Meine englischen Freunde waren abgereist, ich hatte niemand mehr, dem ich mich vertrauen mochte. Ohne Hoffnung hatte ich mehrere Tage verstreichen lassen, ich war nicht zu bewegen, mich unter die Freuden des Karnevals zu mischen.

Wie erstaunte ich aber, als mich am Morgen des vierten Tages der Karnevalswoche der Gesandte fragte, wie ich mich gestern ‚amüsiert‘ habe. Ich sagte ihm, ich sei nicht im Korso gewesen.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 280–281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_141.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)