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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

einzieht – und dies alles hatte mir das ungeschliffene Wesen des alten Menschen verdorben. Ich hätte ihn würgen mögen, als wir im Wagen saßen.

„War es nicht genug“, sagte ich, „daß du mit deinem scharfen Judenbart die zarte Hand der Gnädigen empfindlich bürstetest? Mußtest du auch noch die Frau von Wollau durch dein unzeitiges Gelächter beleidigen? und kaum hast du es wieder gut gemacht, so bringst du aufs neue alles gegen dich auf? Was gingen dich denn die Schwabenmädel an, daß du ihre Schönheit an den Theetischen Berlins predigest? Darfst du denn sogar in China einer Schönen sagen, sie habe ein Theegesicht? Und jetzt, nachdem du die spitzigen Worte der ungnädigen Frau eingesteckt hattest, jetzt, als alles auf das erste vernünftige Thema, das diesen Abend abgehandelt wurde, lauschte, jetzt fällst du, wie der selige Hohepriester Eli im zweiten Kapitel Samuelis, rücklings in den Saal, und zerschmetterst – nicht den eigenen hohlen Schädel, wie jener würdige jüdische Papst – nein! einen zierlich geschnitzten Fauteuil und eine Tasse von Meißner Porzellan; sage, sprich, schlechter Kamerade, wie fingst du es nur an?“

„In Eurer Stelle, Herr Satan, wäre ich nicht so arrogant gegen unsereinen“, antwortete er verdrießlich, „Ihr wißt, daß Euch keine Gewalt über meine Seele zusteht, denn seit anderthalb tausend Jahren kenne ich Eure Schliche und Ränke wohl. Was aber die Elis-Geschichte betrifft, so will ich Euch reinen Wein einschenken, vorausgesetzt, Ihr begleitet mich in eine Auberge, denn der läpperichte Thee hier, mit dem man in China kaum die Tassen ausspülen würde, mit dem noch schlechtern Arrak haben mir ganz miserabel gemacht.“

Ich ließ vor einem Restaurateur halten und führte den verunglückten Doktor Mucker hinein. Es war schon ziemlich tief in der Nacht, und nur noch wenige, aber echte Trinker in dem Wirtszimmer. Wir setzten uns an einen Tisch zu vier oder fünf solcher nächtlichen Gesellen; ich ließ für den alten Menschen Burgunder auftragen, und in geläufigem Malabarisch, wovon die Trinker gewiß nichts verstanden, forderte ich ihn auf, zu erzählen.

[287] Nachdem der Ewige Jude durch etliche Schlücke sich erholt hatte, begann er:

„Ich glaube, es ist ein Teil des Fluches, der auf mir ruht, daß ich, sobald ich mich in höhere Sphären der Gesellschaft wage, lächerlich werde; ein paar Beispiele mögen dir genügen:

Du weißt, daß ich, um mir die Langeweile des Erdenlebens zu vertreiben, zuweilen einen Liebeshandel suche – nun verziehe dein Gesicht nur nicht so spöttisch, ich bin eine Stereotypausgabe von einem kräftigen Fünfz’ger, und ein solcher darf sich schon noch aufs Eis wagen –; nun hatte ich einmal in einem kleinen sächsischen Städtchen eine Schöne auf dem Korn. Ich hatte schon seit einigen Tagen Zutritt in das elterliche Haus, und die kleine Kokette schien mir gar nicht abgeneigt. Ich kleidete mich sorgfältiger, um ihr zu gefallen, ich scherwenzelte um sie her, wenn sie spazieren ging, kurz, ich war ein so ausgemachter Geck, als je einer über das Pflaster von Leipzig ging. In dem Städtchen gehörte es zum guten Ton, morgens um neun Uhr an dem Haus seiner Schönen vorbeizugehen: schaute sie heraus, so wurde mit Grazie der Hut gezogen und etwas Weniges geseufzt.

Dies hatte ich mir bald abgemerkt und zog nun pflichtgemäß, wenn die Glocke neun Uhr summte, an jenem Haus vorüber, und ich hatte die Freude, zu sehen, wie mein Engel jedesmal zum Fenster herausschaute und huldreich lächelte. Eines Morgens war es sehr kotig auf der Straße; ich ging also, um die weißseidenen Strümpfe zu schonen, auf den Zehenspitzen und machte Schritte wie ein Hahn. Aber vor dem Hause meiner Schönen war der Schmutz reinlich in große Haufen zusammengekehrt, denn der Papa war eine Art von Polizeiinspektor und mußte den Einwohnern ein gutes Beispiel geben; wie freute sich mein Herz über diese Reinlichkeit! Ich konnte dort fester auftreten, ich konnte mit dem rechten Bein, wenn ich mein Kompliment machte, zierlich ausschweifen, ohne mich zu beschmutzen. Mein Engel schaute huldreich herab, freudig ziehe ich den Hut von dem schönfrisierten Toupet, schwenke ihn in einem kühnen Bogen und – o Unglück – er entwischt meiner Hand, er fährt wie ein Pfeil in den aufgeschichteten Unrat, daß nur noch die Spitze hervorsieht.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 286–287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_144.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)