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Und an einem andern Ort läßt er mich mein Gesicht ein „Mäskchen“ nennen; folglich kann er sich eine Maske geben, kann sich verwandeln; aber, wie gesagt, der Dichter hat sich begnügt, das nordische Phantom dennoch beizubehalten, nur daß er mich von „Hörnern, Schweif und Klauen“ dispensiert.

Dies ist das Bild des Mephistophiles, dies ist Goethes Teufel, jenes nordische Phantom soll mich vorstellen; darf nun ein vom Dichter so hochgestellter Mensch durch eine so niedrige Kreatur, die sich schon durch ihre Maske verdächtig macht, ins Verderben geführt werden? Darf jener große Geist, der noch in seinem Falle die übrigen hoch überragt, darf er durch einen gewöhnlichen „Bruder Lüderlich“, als welchen sich Mephisto ausweist, herabgezogen werden? Und – muß nicht diese Maske der Würde jener Tragödie Eintrag thun?

Doch ich schweige; an geschehenen Dingen ist nichts zu ändern, und meine verehrte Großmutter würde über diesen Gegenstand zu mir sagen:

„Söhnchen! diabole! Bedenke, daß ein großer Dichter ein großes Publikum haben, und um ein großes Publikum zu bekommen, so populär als möglich sein muß.“




Siebzehntes Kapitel.
Der Besuch.

Bei diesem allem bleibt „Faust“ ein erhabenes Gedicht und Goethe einer der ersten Geister seiner Zeit, und man darf sich daher nicht wundern, daß ich ein großes Verlangen in mir fühlte, diesen Mann einmal zu sehen. Ich hätte ihm einen unerwarteten Besuch machen können, ja, wenn ich oft recht ärgerlich über mein Zerrbild war, stand ich auf dem Sprung, ihm einmal im Kostüm des Mephistophiles nächtlicherweile zu erscheinen und ihm einigen Schrecken in die Glieder zu jagen; aber eine gewisse [303] Gutmütigkeit, die man zuweilen an mir gefunden hat, hielt mich immer wieder ab, dem alten Mann eine schlaflose Nacht zu machen.

Ich entschloß mich daher, als Doctor legens, ein ehrsamer Titel auf Reisen, ihn zu besuchen, und als solcher kam ich in Weimar an. Es ist mit berühmten Leuten wie mit einem fremden Tiere. Kömmt ein ehrlicher Pächter mit seiner Familie in die Stadt auf den Jahrmarkt, so ist sein erstes, daß er in der Schenke den Hausknecht fragt: „Wann kann man den Löwen sehen, Bursche?“ – „Mein Herr“, antwortet der Gefragte, „die Affen und der Seehund sind den ganzen Tag zu haben, der Löwe aber ist am besten aufgelegt, wenn er das Futter im Leib hat, daher rate ich, um jene Zeit hinzugehen.“

Gerade so erging es mir in Weimar; ich fuhr von Jena aus mit einem jungen Amerikaner hinüber. Auch in sein Vaterland war des Dichters Ruhm schon längst gedrungen, und er machte auf der großen Tour durch Europa dem berühmten Mann zu Ehren schon einen Umweg von zwanzig Meilen. In dem Gasthof, wo wir abgestiegen waren, fragten wir sogleich, um welche Zeit wir bei Herrn von Goethe vorkommen könnten? Wir waren in Reisekleidern, die besonders bei meinem Gefährten etwas unscheinbar geworden waren; der Wirt musterte uns daher mit mißtrauischen Blicken und fragte, ehe er noch unsere Frage beantwortete, ob wir auch Fracks bei uns hätten?

Wir waren glücklicherweise beide damit versehen, und unser Wirt versprach, uns sogleich anmelden zu lassen. „Sie werden wahrscheinlich nach dem Diner, um fünf Uhr, angenommen werden, um diese Zeit sind Seine Exzellenz am besten zu sprechen. Zweifle auch gar nicht, daß Sie angenommen werden, denn wenn man, wie der Herr hier, eigens deswegen aus Amerika nach Weimar kömmt, wäre es doch unbarmherzig, einen ungesehen wieder fortzuschicken.“

Dieser Patriotismus ging doch wahrhaftig sehr weit; doch wir ließen den guten Mann auf dem Glauben, der junge Philadelphier komme recta nach Weimar und gehe von da wieder heim; übrigens hatte er richtig prophezeit: Doctor legens Supfer,


mit welchem er seine Mißgestalt rügt, eine Blöße, die ihm nicht hätte beigehen sollen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 302–303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_152.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)