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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

wie ich mich nannte, und Forthill aus Amerika waren auf fünf Uhr bestellt.

Endlich schlug die Stunde, wir machten uns auf den Weg. Der Dichter wohnt sehr schön. Eine sanfte, geschmackvolle, mit Statüen dekorierte Treppe führt zu ihm; eine tiefe, geheimnisvolle Stille lag auf dem Hausgang, den wir betraten; schweigend führte uns der Diener in das Besuchzimmer. Behagliche Eleganz, Zierlichkeit und Feinheit, verbunden mit Würde, zeichneten dieses Zimmer aus. Mein junger Gefährte betrachtete staunend diese Wände, diese Bilder, diese Möbels. So hatte er sich wohl das „Stübchen des Dichters“ nicht vorgestellt. Mit der Bewunderung dieser Umgebungen schien auch die Angst vor der Größe des Erwarteten zu steigen. Alle Nüancen von Rot wechselten auf seinem angenehmen Gesicht; sein Herz pochte hörbar, sein Auge war starr an die Thüre geheftet, durch welche der Gefeierte eintreten mußte.

Ich hatte indes Muße genug, über den großen Mann nachzudenken. „Wieviel weiter“, sagte ich mir, „wie unendlich weiter helfen dem Sterblichen Gaben des Geistes als der zufällige Glanz der Geburt.

Der Sohn eines unscheinbaren Bürgers von Frankfurt hat hier die höchste Stufe erreicht, die dem Menschen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge offen steht. Es hat schon mancher diese Stufe erstiegen. Geschäftsmänner vom Fach haben vom bescheidenen Plätzchen an der Thüre alle Sitze ihrer Kollegien durchlaufen, bis endlich der Stuhl, der zunächst am Throne steht, sie in seine Arme aufnahm. Mancher hat sich auf dem Schlachtfeld das Portefeuille erkämpft. – Goethe hat sich seine eigene Bahn gebrochen, auf welcher ihm noch keiner voranging, noch keiner gefolgt ist; er hat bewiesen, daß der Mensch kann, was er will; denn man sage mir nichts von einem das All umfassenden Genie, von einem Geist, der sein Zeitalter gebildet, es stufenweise zu dem Höheren geführt habe – das Zeitalter hat ihn gebildet.

Ich kann mir noch wohl denken, welch heilloses Leben ‚Werther‘ in das liebe Deutschland machte. Die Lotten schienen wie durch einen Zauberschlag aus dem Boden zu wachsen; die Zahl [305] der Werther war Legion. Aber was war hierin Goethes Verdienst? Hatte es wirklich nur daran gefehlt, daß er das Hörnchen an den Mund setzte, und bei dem ersten Ton, den er angab, mußte Pfaffe und Laie, Nönnchen und Dämchen in wunderlichen Kapriolen ihren Sankt-Veitstanz beginnen? Wie heißt dieses große schöpferische Geheimnis? Alles zu rechter Zeit. Der Siegwart[1] hatte die harten Herzen aufgetaut und sie für allen möglichen Jammer, für Mondschein und Gräber empfänglich gemacht, da kommt Goethe.“

Die Thüre ging auf – er kam.

Dreimal bückten wir uns tief und wagten es dann, an ihm hinauf zu blinzeln. Ein schöner, stattlicher Greis! Augen so klar und helle wie die eines Jünglings, die Stirne voll Hoheit, der Mund voll Würde und Anmut; er war angethan mit einem feinen schwarzen Kleid, und auf seiner Brust glänzte ein schöner Stern. – Doch er ließ uns nicht lange Zeit zu solchen Betrachtungen; mit der feinen Wendung eines Weltmannes, der täglich so viele Bewunderer bei sich sieht, lud er uns zum Sitzen ein.

Was war ich doch für ein Esel gewesen, in dieser so gewöhnlichen Maske zu ihm zu gehen. Doctores legentes mochte er schon viele Hunderte gesehen haben. Amerikaner, die, wie unser Wirt meinte, ihm zulieb auf die See gingen, gewiß wenige; daher kam es auch, daß er sich meist mit meinem Gefährten unterhielt. Hätte ich mich doch für einen gelehrten Irokesen oder einen schönen Geist vom Mississippi ausgegeben. Hätte ich ihm nicht Wunderdinge erzählen können, wie sein Ruhm bis jenseits des Ohio gedrungen, wie man in den Kapanen[2] von Louisiana über ihn und seinen „Wilhelm Meister“ sich unterhalte? – So wurden mir einige unbedeutende Floskeln zu teil, und mein glücklicherer Gefährte durfte den großen Mann unterhalten.

Wie falsch sind aber oft die Begriffe, die man sich von der Unterhaltung mit einem großen Manne macht! Ist er als witziger Kopf bekannt, so wähnt man, wenn man ihn zum erstenmal


  1. „Siegwart, eine Klostergeschichte“ (1176), ist der Titel eines epochemachenden sentimentalen Romans von J. M. Miller (1750–1814); Nachahmung des „Werther“.
  2. Vom ital. capanna, d. h. Hütte.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 304–305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_153.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)