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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

um die vollen roten Lippen und das wohlgenährte Kinn zog sich jenes schöne, unnachahmliche Blau, welches den Damen so wohl gefallen soll und in England und Deutschland bei weitem seltener als in südlichern Ländern gefunden wird, weil hier der Bartwuchs dunkler, dichter und auch früher zu sein pflegt, als dort.

Offenbar ein Incroyable von der Chaussée d’Antin[1]. Das elegante Negligee, wie es bis auf die geringste Kleinigkeit hinaus der eigensinnige Geschmack der Pariser vor vier Monaten (so lange mochte der junge Herr bereits verstorben sein) haben wollte. Von dem mit zierlicher Nachlässigkeit umgebundenen ostindischen Halstuch, dem kleinen blaßroten Shawl, mit einer Nadel à la Duc de Berry[2] zusammen gehalten, bis herab auf die Gamaschen, die man damals seit drei Tagen nach innen zuknöpfte, bis auf die Schuhe, die, um als modisch zu gelten, an den Spitzen nach dem großen Zehen sich hinneigen und ganz ohne Absatz sein mußten, ich sage, bis auf jene Kleinigkeiten, die einem Ungeweihten geringfügig und miserabel, einem, der in die Mysterien hinlänglich eingeführt ist, wichtig und unumgänglich notwendig erscheinen, war er gewissenhaft nach dem neuesten „Geschmack für den Morgen“ angezogen.

Er schien soeben erst seinem Jean die Zügel seines Kaprioletts in die Hand gedrückt, die Peitsche von geglättetem Fischbein kaum in die Ecke des Wagens gelehnt zu haben und jetzt in meinen Café hereingeflogen zu sein, um mehr gesehen zu werden, als zu sehen, mehr zu schwatzen, als zu hören.

Er lorgnettierte flüchtig den Gentleman im Fauteuil, schien sich an dem ungemeinen Rumglas und dem Rauchapparat, den jener vor sich hatte, ein wenig zu entsetzen, schmiegte sich aber nichtsdestoweniger an die Seite Seiner Lordschaft und fing an zu sprechen:

[313] „Werden Sie heute abend den Ball besuchen, mein Herr, den uns Monseigneur le diable gibt? Werden viel Damen dort sein, mein Herr? Ich frage, ich bitte Sie, weil ich wenig Bekanntschaft hier habe.

Mein Herr, darf ich Ihnen vielleicht meinen Wagen anbieten, um uns beide hinzuführen; es ist ein ganz honettes Ding, dieser Wagen, habe ich die Ehre, Sie zu versichern, mein Herr; er hat mich bei Latonnier vor vier Monaten achtzehnhundert Franken gekostet. Mein Herr, Sie brauchen keinen Bedienten mitzunehmen, wenn ich die Ehre haben sollte, Sie zu begleiten, mein Jean ist ein Wunderkerl von einem Bedienten.“

So ging es im Galopp über die Zunge des Incroyable. Seine Lordschaft schien sich übrigens nicht sehr daran zu erbauen. Er sah bei den ersten Worten den Franzosen starr an, richtete dann den Kopf ein wenig auf, um seine rechte Hand frei zu machen, ergriff mit dieser – die erste Bewegung seit einer halben Stunde – das Kelchglas, nippte einige Züge Rum, rauchte behaglich seine Zigarre an, legte den Kopf wieder auf die rechte Hand und schien dem Franzosen mehr mit dem Auge als mit dem Ohr zuzuhören und auch auf diese Art antworten zu wollen, denn er erwiderte auch nicht eine Silbe auf die Einladung des redseligen Franzosen und schien, wie sein Landsmann Shakespeare sagt:

„Der Zähne doppelt Gatter“[WS 1]

vor seine Sprachorgane gelegt zu haben.

Der Deutsche hatte sich während dieses Gespräches dem Tische genähert, eine höfliche Verbeugung gemacht und einen Stuhl dem Lord gegenüber genommen. Man erlaube mir, auch ihn ein wenig zu betrachten. Er war, was man in Deutschland einen gewichsten jungen Mann zu nennen pflegt, ein Stutzer; er hatte blonde, in die Höhe strebende Haare, an die etwas niedere Stirne schloß sich ein „allerliebstes Stumpfnäschen“, über dem Mund hing ein Stutzbärtchen, dessen Enden hinaufgewirbelt waren, seine Miene war gutmütig, das Auge hatte einen Ausdruck von Klugheit, der wie gut angebrachtes Licht auf einem grobschattierten Holzschnitt keinen üblen Effekt hervorbrachte.


  1. Die Rue de la Chaussée d’Antin im Norden von Paris führt von der Kirche la Trinité nach dem Boulevard des Capucines.
  2. Charles Ferd., Herzog von Berri (1778–1820), Sohn des Grafen von Artois, heiratete 1816 eine Tochter des Königs Franz I., die Prinzessin Karoline Ferdinande Luise von Sizilien, wodurch er den Fortbestand des ältern Zweigs der Bourbonen sicherte. Er wurde deshalb 1820 ermordet.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Richard II, Akt I, Szene III:

    Within my mouth you have engaol’d my tongue,
    Doubly portcullis’d with my teeth and lips.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 312–313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_158.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)