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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

setzte sich weinend auf ihren Stuhl. Die tobende Freude der Römer an dem Pferderennen, ihr Jauchzen, ihr Rufen stand in schneidendem Kontrast mit dem stillen Schmerz dieses Engels. Ich fühlte inniges Mitleid mit ihr, ich fühlte mich tief verletzt, daß ein Mann eine Dame, ein Liebender die Geliebte so schnöde beleidigen könne. ‚Mein Herr‘, sagte ich, ‚das Wort eines Mannes von Ehre kann Sie vielleicht überzeugen, daß die Schuld dieser Szene allein auf mir ruht.‘ – ‚Eines Mannes von Ehre?‘ rief er höhnisch lachend; ‚so kann sich jeder Tropf nennen.‘ Jetzt glaubte ich die Formen der gesellschaftlichen Höflichkeit nicht weiter beobachten zu müssen. Ich gab ihm ein wohlbekanntes Zeichen, flüsterte ihm meinen Namen, die Nummer meines Hauses und die Straße zu, in welcher ich wohnte, und verließ ihn.

Es waren widerstreitende Gefühle, die in meiner Brust erwachten, als ich zu Haus über diesen Vorfall nachdachte. Ich mußte mir gestehen, daß ich unbesonnen, thöricht gehandelt hatte, die Rolle eines andern bei diesem Mädchen zu übernehmen. Es ist wahr, der Zufall war so überraschend, die Gelegenheit so lockend, ihre Erscheinung so reizend, so anziehend, daß wohl keiner der Versuchung widerstanden hätte. Aber mußte mich nicht schon der Gedanke zurückschrecken, daß es ihr bei dem Geliebten schaden könnte, traf er uns beide zusammen? in welch ungünstigem Lichte mußte ich, mußte auch sie ihm erscheinen!

Und doch – wo ist der Mensch, der nicht in einem solchen Falle sich vor sich selbst zu entschuldigen wüßte; ich fühlte, daß ich dieses unbekannte, reizende Wesen liebe, und wie leicht entschuldigt Liebe! Und weil ich sie liebte, haßte ich den begünstigten Mann. Er war ein Barbar in meinen Augen; wie konnte er die Geliebte so grausam behandeln; wie durfte er, wenn er sie wahrhaft liebte, an ihrer Tugend zweifeln, und wer, der jemals in dieses treue, seelenvolle Auge gesehen, wer konnte an der Reinheit dieses Engels zweifeln?

Am Morgen nach dieser Begebenheit bekam ich einen italienischen, schlecht geschriebenen Brief, er enthielt die Bitte einer Signora Maria Campoco, dem Überbringer des Briefes in ihr Haus zu folgen, wo sie mir etwas Wichtiges zu sagen habe. Ich kannte [353] keine Dame dieses Namens, ich fragte den Diener nach der Straße, er nannte mir eine, von welcher ich nie gehört hatte. Eine Ahnung sagte mir übrigens, dieser Brief könnte mit meinem Abenteuer von gestern zusammenhängen; ich entschloß mich zu folgen. Der Diener führte mich durch viele Straßen in eine Gegend der Stadt, die mir völlig unbekannt war. Er beugte endlich in eine kleine Seitenstraße, ein Brunnen, eine Madonna von Stein fiel mir ins Auge, es war kein Zweifel, ich befand mich an dem Haus, wohin ich Luisen aus den Lamentationen begleitet hatte.

Es war ein kleines, unscheinbares Haus, dessen Thüre der Diener aufschloß; über einen finstern Gang, eine noch dunklere Treppe brachte er mich in ein Zimmer, dessen Eleganz nicht mit dem übrigen Ansehen des Hauses übereinstimmte. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, erscholl das Klaffen vieler Hunde, die Thüre öffnete sich – aber nicht meine Schöne, sondern eine kleine, wohlbeleibte, ältliche Frau trat, umgeben von einer Schar kleiner Hunde, ins Zimmer.

Es dauerte ziemlich lange, bis Tasso, Ariosto, Dante, Alfieri, und wie die Kläffer alle hießen, über den Anblick eines fremden Mannes beruhigt waren und die kleine Dame endlich zum Wort kommen konnte. Sie sagte mir sehr höflich, sie habe mich rufen lassen, um wegen einer Angelegenheit ihrer Nichte, Luise von Palden, mit mir zu sprechen. – Das Verlangen, das schöne Kind wiederzusehen, mich bei ihr selbst zu entschuldigen, gab mir eine Notlüge ein: ich fragte sie in so miserablem Italienisch, als mir nur möglich war, ob sie Französisch oder Deutsch verstehe? Sie verneinte es, ich zuckte die Achsel und gab ihr mehr durch Zeichen als Worte zu verstehen, daß ich der italienischen Sprache durchaus nicht mächtig sei. Sie besann sich eine Weile, sagte dann, ich könne in ihrer Gegenwart mit ihrer Nichte sprechen, und entfernte sich.

Wie schlug mein Herz von Erwartung, von Liebe bewegt! Wie beschämt fühlte ich mich, in ihren Augen als ein Nichtswürdiger zu scheinen, der ihren Irrtum auf so indiskrete Art benützte! Die hündische Leibwache der Signora verkündete, daß sie nahe. Ich fühlte seit langer Zeit zum erstenmal eine Verlegenheit,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 352–353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)