Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 199.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Zu welch sonderbaren Sprüngen steigert doch den Sterblichen die Beschämung. Gefühl des Unrechts, wirkliche Beleidigung, Zorn, alle Leidenschaften seiner Seele hätten den Kapitän wohl nicht so außer sich gebracht als das Gefühl der Scham, vor deutschen Männern von einem römischen Priester so verhöhnt zu werden. „Die Achtung, Signor Rocco“, sagte er, „die Achtung, die ich vor Ihrem Gewand habe, schützt mich, Ihnen zu erwidern, was Sie mir in meinem Zimmer über mich gesagt haben. Ich kenne jetzt Ihre Ansichten über mich hinlänglich und wundere mich, wie Sie sich um meine arme Seele so viele Mühe geben wollten. Diesem Herrn, der, wie Sie sagten, mich aus dem Sattel hob, werde ich folgen; doch wissen Sie, daß, was er gethan hat, mit meiner Zustimmung geschah: ich werde ihm folgen, obgleich es zuvor gar nicht in meiner Absicht lag; nur um Ihnen zu zeigen, daß weder Ihr Spott, noch Ihre Drohungen auf mich Eindruck machen; und wenn Sie ein andermal wieder einen Mann meiner Art unter der Arbeit haben, so rate ich Ihnen, Ihren Spott oder Ihren Zorn zurückzuhalten, bis er im Schoße der Kirche ist.“

Das reiche, rosige Antlitz Roccos war so weiß geworden als sein seidenes Gewand. „Geben Sie sich keine Mühe“, entgegnete er, „mir zu beweisen, wie wenig man an einem seichten Kopf Ihrer Art verliert. Glauben Sie mir, die Kirche hat höhere Zwecke, als einen Kapitän West zu bekehren –“

„Wir kennen diese schönen Zwecke“, rief der Berliner mit sehr überflüssigem Protestantismus; „Ihre Plane sind freilich nicht auf einen einzelnen gerichtet, sie gehen auf uns arme Seelen alle. Sie möchten gar zu gerne unser ganzes Vaterland und England und alles, was noch zum Evangelium hält, unter den heiligen Pantoffel bringen. Aber Sie kommen hundert Jahre zu spät oder zu früh; noch gibt es, Gott sei Dank, Männer genug in meinem Vaterlande, die lieber des Teufels sein wollen, als den heiligen Stuhl anbeten.“

„Bringe mir meinen Hut, Piccolo!“ sagte der Priester sehr gelassen, „Ihnen, mein Herr von S., danke ich für diese Belehrung; doch lag uns an den dummen Deutschen wenig. Es liegt [395] ein sicheres Mittel in der Erbärmlichkeit Ihrer Nation und in ihrer Nachahmungssucht. Ich kann Sie versichern, wenn man in Frankreich recht fromm wird, wenn England über kurz oder lang zur alleinseligmachenden Kirche zurückkehrt, dann werden auch die ehrlichen Deutschen nicht mehr lange protestieren. Drum leben Sie wohl, mein Herr, auf Wiedersehen.“ Die Züge des Kardinals hatten etwas Hohes, Gebietendes, das mir beinahe nie so sichtbar wurde als in diesem Moment. Ich mußte gestehen er hatte sich gut aus der Sache gezogen und verließ als Sieger die Walstatt. Frater Piccolo setzte ihm den roten Hut auf, ergriff die Schleppe seines Talars und, mit Anstand und Würde grüßend, schritt der Kardinal aus dem Zimmer.

Der Berliner fühlte sich beschämt und sprach kein Wort; der Pietist murmelte Stoßgebetlein und war augenscheinlich düpiert, denn der Streit ging über seinen Horizont, an welchem nur die Ideen „von dem Antichrist, dem Drachen auf dem Stuhl des Lammes, dem Baalspfaffen, der babylonischen Dame, dem ewigen Höllenpfuhl und dem Paradiesgärtlein“, in lieblichem Unsinn verschlungen, schwebten.

Dem Kapitän schien übrigens nicht gar zu wohl bei der Sache zu sein. Ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß er von Donna Ines und diesem Priester bedeutende Vorschüsse empfangen habe, die er nicht zahlen konnte; es war zu erwarten, daß sie ihn von dieser Seite bald quälen würden, und ich freute mich schon vorher, zu sehen, was er dann in der Verzweiflung beginnen werde. Auch zu diesem Auftritt hatte ihn sein Leichtsinn verleitet, denn hätte er bedacht, was für Folgen für ihn daraus entstehen können, – er hätte sich von falscher Scham nicht so blindlings hinreißen lassen. Der Berliner fuhr übrigens bei dieser Partie ebenso schlimm. Ich wußte wohl, daß er die Hoffnung auf Luisens Besitz nicht aufgegeben hatte, daß er sie mächtiger als je nährte, da sie ihn heute hatte rufen lassen; ich wußte auch, daß sie den Kapitän nicht gerade zu sich zurückwünschte, sondern ihn nur nicht katholisch wissen wollte; ich wußte, daß sie dem Berliner vielleicht bald geneigt worden wäre, weil sie sah, mit welchem Eifer er sich um sie bemühe; und jetzt hatte der Kapitän vor uns

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 394–395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_199.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2020)