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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Stobelberg, um mit ihm zu sprechen. Ich redete ihn an und wünschte ihm Glück, ihn so gesund zu sehen. Er richtete sich auf; der Mond beschien ein sehr bleiches Gesicht, weinende Augen blickten mich wehmütig an, schweigend sank er an meine Brust.

„Sie scheinen noch nicht ganz geheilt, Lieber!“ sagte ich; „Sie sind noch sehr bleich, die Nachtluft wird Ihnen schaden!“

Er verneinte es mit dem Haupt, ohne zu sprechen. Was war doch dem armen Jungen geschehen, hatte er wohl von neuem einen Korb bekommen? „Nun, ein Mittel gibt es wohl, Sie gänzlich zu heilen“, fuhr ich fort; „jetzt steht Ihnen ja nichts mehr im Wege, jetzt wird sie hoffentlich so spröde nicht mehr sein. Ich will den Brautwerber machen. Sie müssen Mut fassen, Luise wird Sie erhören, und dann ziehen Sie mit ihr aus dieser unglücklichen Stadt, führen sie nach Berlin zu der Tante; wie werden sich die ästhetischen Damen wundern, wenn Sie Ihre Novelle auf diese Art schließen und die holde Erscheinung aus den Lamentationen persönlich einführen!“

Er schwieg, er weinte stille.

„Oder wie! Haben Sie etwa den Versuch schon gemacht? Sollten Sie abgewiesen worden sein? Will sie die Rolle der Spröden fortspielen?“

„Sie ist tot!“ antwortete der junge Mann.

„Ist’s möglich! Höre ich recht? So plötzlich ist sie gestorben?“

„Der Gram hat ihr Herz gebrochen; heute hat man sie begraben.“

Er sagte es, drückte mir die Hand, und einsam weinend ging er durch die Ruinen des Koliseums.




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III.
Mein Besuch in Frankfurt.




1) Wen der Satan an der Table d’hôte im Weißen Schwanen sah.

Kommt man um die Zeit des Pfingstfestes nach Frankfurt, so sollte man meinen, es gebe keine heiligere Stadt in der Christenheit; denn sie feiern daselbst nicht, wie z. B. in Bayern, 11/2 oder, wie im Kalender vorgeschrieben, zwei Festtage, sondern sie rechnen vier Feiertage; die Juden haben deren sogar fünf, denn sie fangen in Bornheim[1] ihre heiligen Übungen schon am Samstag an, und der Bundestag hat sogar acht bis zehen.

Diese Festtage gelten aber in dieser Stadt weniger den wunderbaren Sprachkünsten der Apostel als mir. Was die berühmtesten Mystiker am Pfingstfeste morgens den guten Leutchen ans Herz gelegt, was die immensesten Rationalisten mit moralischer Salbung verkündet hatten, das war so gut als in den Wind gesprochen. Die Fragen: Ob man am Montag oder am Dienstag, am zweiten oder dritten Feiertag ins Wäldchen[2] gehen, ob es nicht anständiger wäre, ins Wilhelmsbad[3] zu fahren, ob man am vierten Feiertag nach Bornheim oder ins Vauxhall[4] gehen solle, oder beides, diese Fragen schienen bei weitem wichtiger als jene, die doch für andächtige Feiertagsleute viel näher lag: ob die Apostel damals auch Englisch und Plattdeutsch verstanden haben?


  1. Dorf bei Frankfurt a. M.
  2. D. i. der Frankfurter Stadtwald (südwestlich der Stadt), hier ist am Pfingstdienstag Volksfest, sogen. „Wäldchestag“.
  3. Badeort mit Schloß und Park in der Nähe von Hanau.
  4. Ein öffentlicher Vergnügungsort, benannt nach dem Londoner Vauxhall, dem berühmten ehemaligen Versammlungsort der vornehmen Welt (1835 geschlossen).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 412–413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_208.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2019)