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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

von einem halbunterdrückten Seufzer. In solchen Augenblicken schlug er dann wohl die Augen auf, doch nicht, um auf mich zu blicken; er warf nur einen scheuen, finstern Blick gerade aus, und sah dann wieder seufzend auf seinen Teller.

Ich folgte einem dieser Blicke und glaubte zu bemerken, daß sie einem Herrn gelten mußten, der uns gegenüber saß und schon zuvor meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Er war gerade das Gegenteil von meinem Nachbar rechts. Seine schon etwas kahle, gefurchte Stirne, sein bräunlichtes, eingeschnurrtes Gesicht, seine schmalen Wangen, seine spitze, weithervortretende Nase deuteten darauf hin, daß er die fünfundvierzig Jährchen, die er haben mochte, etwas schnell verlebt habe. Den auffallendsten Kontrast mit diesen verwitterten, von Leidenschaften durchwühlten Zügen bildete ein ruhiges süßliches Lächeln, das immer um seinen Mund schwebte, die zierliche Bewegung seiner Arme und seines Körperchens, wie auch seine sehr jugendliche und modische Kleidung.

Es saßen etwa fünf oder sechs junge Damen an der Tafel, und nach den zärtlichen Blicken, die er jeder zusandte, dem süßen Lächeln, womit er seine Blicke begleitete, zu urteilen, mußte er mit allen in genauen Verhältnissen stehen. Dieser Herr hatte, wenn er mit der abgestorbenen, knöchernen Hand einen Spargel zum Munde führte und süßlich dazu lächelte, die größte Ähnlichkeit mit einem rasierten Kaninchen, während mein Nachbar rechts wie ein melancholischer Frosch anzusehen war.

Warum übrigens der Seufzer das Kaninchen mit so finsteren Augen maß, konnte ich nicht erraten. Endlich, als die Blicke meines Nachbars düsterer und länger als gewöhnlich auf jenem ruhten, fing das Kaninchen an, die Schultern und Arme graziös hin und her zu drehen, den Rücken auf künstliche Art auszudehnen, und das spitzige Köpfchen nach uns herüber zu drehen; mit süßem Lächeln fragte er: „Noch immer so düster, mein lieber Monsieur Zwerner? Etwa gar eifersüchtig auf meine Wenigkeit!“

An dem zarten Lispeln, an der künstlichen Art das r wie gr auszusprechen, glaubte ich in ihm einen jener adeligen Salonmenschen zu erkennen, die von einer feinen, leisen Sprache [417] Profession machen. Und so war es, denn mein Nachbar antwortete: „Eifersüchtig, Herr Graf? auf Sie in keinem Fall.“

Graf Rebs, so hörte ich ihn später nennen – faltete sein Mäulchen zu einem feinen Lächeln, drückte die Augen halb zu, bog die Spitznase auf komische Weise seitwärts, strich mit der Hand über sein langes knöchernes Kinn und kicherte.

„Das ist schön von Ihnen, lieber Monsieur Zwerner; also gar nicht eifersüchtig? Und doch habe ich die schöne Rebekka erst gestern abend noch in ihrer Loge gesprochen. Ha, ha! Sie standen im Parterre und schauten mit melancholischen Blicken herauf. Darf ich Sie um jenes Ragout bitten, mein Herr?“

„Ich war allerdings im Theater, habe aber nur vorwärts aufs Theater und nicht rückwärts gesehen, am wenigsten mit melancholischen Blicken.“

„Herr Oberkellner“, lispelte der Graf, „Sie haben die Trüffeln gespart; aber nein! Monsieur Zwerner, wie man sich täuschen kann! Ich hätte auf Ehre geglaubt, Sie schauen herauf in die Loge mit melancholischen Blicken. Auch Rebekka mochte es bemerken und Fräulein von Rothschild, denn als ich auf Sie hinabwies – Kellner, ich trinke heute lieber roten Engelheimer, ein Fläschchen – ja, wollte ich sagen – das ist mir nun während des Engelheimers gänzlich entfallen, so geht es, wenn man so viel zu denken hat.“

Meinem Nachbar mochte das unverzeihlich schlechte Gedächtnis des Grafen nicht behagen; obgleich er vorhin das Kaninchen ziemlich barsch abgewiesen hatte, so schien ihm doch dieser Punkt zu interessant, als daß er nicht weiter geforscht hätte. „Nun, auch Fräulein von Rothschild hat bemerkt, daß ich melancholisch hinauf sahe“, fragte er, indem er seine bitteren Züge durch eine Zuthat von Lächeln zu versüßen suchte; „freilich, diese hat ein scharfes Gesicht durch die Lorgnette –“

„Richtig, das war es“, erwiderte Rebs, „das war es; ja, als ich auf Sie hinabwies und Rebekkchen Ihre Leiden anschaulich machte, schlug sie mich mit ihrem Jockofächer auf die Hand und nannte mich einen Schalk.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 416–417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_210.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)