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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Entschuldigung an; ich schlüpfte ihm unter dem Bauch weg und wollte schnell weitergehen, aber er setzte mir mit weiten Schritten nach, ging neben mir her und beschuldigte mich, seinem Gegenpart, dem mystischen Pfarrer, zu einer reichen Frau verholfen zu haben, er behauptete auch, daß ich mich jeden Morgen statt des Frühstücks magnetisieren lasse und dergleichen; und erst hier an der Gartenthüre ließ er mit einer mürrischen Reverenz von mir ab.“

„Aber was hat denn dies alles zu bedeuten?“ fragte ich; „halten denn die Pfarrer hier auf der Landstraße Kirche, wie es Sitte war zur Zeit der Apostel?“

„In Frankfurt“, belehrte mich der Kaufmann aus Dessau, „in Frankfurt ist gegenwärtig ein großer Krieg zwischen den Pfarrern, und ihre Partien befehden sich ebenfalls. Mystiker und Rationalisten schelten sie sich hin und her, der eine wirft dem andern vor, er predige nur Moral, der andere entgegnet, sein Gegner rede tiefen Unsinn. Nicht nur in den Kirchen, auf den Kanzeln, sondern auch in den Weinhäusern und Trinkstuben, auf Chausseen und Kasinos wird gekämpft, und so konnte es leicht geschehen, daß der Herr Graf einem Eiferer der Vernunft in die Hände fiel. – Doch wie? Herr Graf, wenn ich nicht irre, so fährt dort der Lord und seine Nichte; nicht so? Und sie halten vor dem Garten, sie steigen aus?“

„Ah, sie hat mich bemerkt“, rief das Kaninchen sehr freundlich, „sie schaut schon herüber und wedelt, wenn ich nicht irre, mit dem Taschentuch mir zu. Verzeihen allerseits, daß ich mich entferne; Miß Mary hat ein Auge auf mich geworfen, und Sie wissen selbst, bei solchen Affairen –“

Er schlüpfte unter diesen Worten aus dem Zelt und eilte mit zierlichen Sprünglein zu der Gartenpforte, wo er in dem Drang seines Herzens die junge Dame auf den glacierten Handschuh küßte. Es mochte ihr übrigens dieses Zeichen seiner Verehrung überaus komisch vorkommen, denn ihr Lachen drang bis zu uns herüber, und mit tiefem Baß begleitete sie der Lord, indem er dem Kaninchen das Pfötchen schüttelte.

[439] Das Gewölk, die Tante Simon, kam jetzt zurück und beklagte sich, daß es schon etwas kühl werde. Der Jude ließ daher seinen schönen Wagen vorfahren und verließ mit den Seinigen den Garten. Der Seufzer hatte das Glück, Rebekkchen in den Wagen heben zu dürfen, und kam mit ganz verklärtem Gesicht zurück. Sie hatte ihm unter der Thüre noch die Hand gedrückt und gestanden, daß sie sich diesen Nachmittag „janz fürtrefflich amüsiert habe“, und der Alte hatte ihn eingeladen, morgen und alle Tage den Abend in seinem Hause zuzubringen.


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5) Der Kurier aus Wien kommt an.

Ich könnte dir, geneigter Leser meiner Memoiren, vieles Ergötzliche und Interessante erzählen, was ich in der Freien Stadt Frankfurt erlebte; nicht von früheren Zeiten her, wo ich oft hinter den Stühlen der Kurfürsten stand und den Kaiser wählen half, wo ich so oft unter guten Freunden im Römer und beim Römer saß, wenn das neue Haupt des vielgliedrigen Leibes, Deutsches Reich genannt, mit der Krone geschmückt worden war. Nein, von den heutigen Tagen könnte ich dir viel erzählen, von dem tiefen, geheimnisvollen Wesen der Diplomatie, von dem herrlichen Junitag, in welchem es niemals Abend oder Nacht wird, ich meine den deutschen Bundestag, von dem herrlichen Treiben und Blühen des Mystizismus, und wie ich das Feuer anschürte zwischen seinen Anhängern und den Rationalisten, und wie es im Wirtshaus zum Goldenen Brunnen einigemal zu bedeutenden Raufereien kam zwischen beiden Partien, daß heißt – nur mit schneidenden Zungen und stechenden Blicken; ich könnte dir erzählen, wie ich in einem Institut, woselbst man junge Fräulein für die Welt zustutzt, nützlichen Unterricht gab im Guitarrespielen und anderen Kleinigkeiten, so eine junge Dame kennen muß, wenn sie in die Welt tritt. Ich könnte dir erzählen von jener Straße, Million genannt, wo meine speziellsten Freunde wohnen, deren der Geringste über Millionen gebietet.

Doch ich schweige von diesem allem, weil ich mir vorgenommen, dir einen kleinen Abriß zu geben von der Art, wie ich den

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 438–439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_221.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)