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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

daß es wäre rezensiert worden; aber nein; ich selbst habe einige Zeit unter meines Onkels Protektion den kritischen kleinen Krieg mitgemacht und kenne diese Affairen genau. Nun, mein Onkel brachte mir also die verschiedenen Formen und Klassen bei. Die erste war die sanftlobende Rezension. Sie gab nur einige Auszüge aus dem Werk, lobte es als brav und gelungen und ermahnte, auf der betretenen Bahn fortzuschreiten. In diese Klasse fielen junge Schriftsteller, die dem Interesse des Blattes entfernter standen, die man aber für sich gewinnen wollte. Hauptsächlich aber war diese Klasse für junge schriftstellerische Damen.“

„Wie?“ erwiderte der Lord, „haben Sie derer so viele, daß man eine eigene Klasse für sie macht?“

„Man zählte, als ich noch auf der Oberwelt war, sechsundvierzig jüngere und ältere! Sie sehen, daß man für sie schon eine eigene Klasse machen kann und zwar eine ‚gelinde‘, weil diese Damen mehr Anbeter und Freunde haben als ein junger Schriftsteller. Die zweite Klasse ist die lobposaunende. Hier werden entweder die Verlagsartikel des Buchhändlers, der das Blatt bezahlt, oder die Parteimänner gelobt. Man preist ihre Namen, man ist gerührt, man ist glücklich, daß die Nation einen solchen Mann aufweisen kann. Die dritte Klasse ist dann die neutrale. Hier werden die Feinde, mit denen man nicht in Streit geraten mag, etwas kühl und diplomatisch behandelt. Man spricht mehr über das Genus ihrer Schrift und über ihre Tendenz als über sie selbst und gibt sich Mühe, in recht vielen Worten nichts zu sagen, ungefähr wie in den Salons, wenn man über politische Verhältnisse spricht und sich doch mit keinem Wort verraten will.

Die vierte Klasse ist die lobhudelnde. Man sucht entweder einen, indem man ihn scheinbar und mit einem Anstrich von Gerechtigkeit ein wenig tadelt, zu loben, oder umgekehrt, man lobt ihn mit vielem Anstand und bringt ihm einige Stiche bei, die ihn entweder tief verwunden oder doch lächerlich machen. Die fünfte Klasse ist die grobe, ernste; man nimmt eine vornehme Miene an, setzt sich hoch zu Roß und schaut hernieder auf die kleinen Bemühungen und geringen Fortschritte des Gegners. Man warnt sogar vor ihm und sucht etwas Verstecktes in seinen Schriften [459] zu finden, was zu gefährlich ist, als daß man öffentlich davon sprechen möchte. Diese Klasse macht stillen, aber tiefen Eindruck aufs Publikum. Es ist etwas Mystisches in dieser Art der Kritik, was die Menschen mit Scheu und Beben erfüllt. Die sechste Klasse ist die Totschläger-Klasse. Sie ist eine Art von Schlachtbank, denn hier werden die Opfer des Zornes, der Rache niedergemetzelt ohne Gnade und Barmherzigkeit, sie ist eine Säge- und Stampfmühle, denn der Müller schüttet die Unglücklichen, die ihm überantwortet werden, hinein, und zerfetzt, zersägt, zermalmt sie.“

„Aber wer trägt denn die Schuld von diesem unsinnigen Vertilgungssystem?“ fragte Lasulot.

„Nun, das Publikum selbst! Wie man früher an Turnieren und Tierhetzen die Freude hatte, so amüsiert man sich jetzt am kritischen Kriege; es freut die Leute, wenn man die Schriftsteller mit eingelegten Lanzen aufeinander anrennen sieht, und – wenn die Rippen krachen, wenn einer sinkt, klatscht man dem Sieger Beifall zu. Ländlich, sittlich! ‚Ein Stier, ein Stier, ruft’s dort und hier!‘[1] In Spanien treibt man das in der Wirklichkeit, in Deutschland metaphorisch, und wenn ein paar tüchtige Fleischerhunde einen alten Stier anfallen und sich zu Helden an ihm beißen, wenn der Matador von der Galerie hinab in den Zirkus springt,

Und zieht den Degen
Und fällt verwegen
Zur Seite den wütenden Ochsen an –[1]

da freut sich das liebe Publikum, und von ‚Bravo!‘ schallt die Gegend wider!“

„Das ist köstlich!“ rief der Engländer, doch war man ungewiß, ob sein Beifall der deutschen Kritik oder dem Rum gelte, den er zu sich nahm; „und ein solcher Klassenkritikus wurden Sie, Master Garnmacher?“

„Mein Onkel war, wie ich Ihnen sagte, für mehrere Journale verpachtet; wunderbar war es übrigens, welches heterogene Interesse er dabei befolgen mußte. Er hatte es so weit gebracht, daß er an einem Vormittag ein Buch las und sechs Rezensionen


  1. a b Aus Adolf Müllners Trauerspiel „Die Schuld“; 3. Akt, 1. Szene.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 458–459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_231.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)