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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

war es nun anzusehen, wie das Chor der englischen, deutschen und französischen Häuser, vorgestellt von den Herren vom Corps de ballet, diesen Fall weiter fortsetzten. Sie wankten künstlich und fielen noch künstlicher, besonders exzellierten hiebei einige Berliner Börsenkünstler, die durch ihre ungemeine Kunst einen wahrhaft tragischen Effekt hervorbrachten und allgemeine Sensation im Parterre erregten.

Plötzlich ging die lamentable Börsenmusik in einen Triumphmarsch über; die herrliche Passage aus der „Italienerin in Algier“[1]: Heil dem großen Kaimakan[2] ertönte, ein glänzender Zug von Christensklaven, Goldbarren und Schüsseln mit gemünztem Gold tragend, tanzten aufs Theater. Es war, wie wenn in der Hungersnot ein Wagen mit Brot in eine ausgehungerte Stadt kommt. Man denkt nicht daran, daß der spekulative Kopf, der das Brot herbeischaffte, nichts als ein gemeiner Wucherer ist, der den Hunger benützt und sein Brot zu ungeheuren Preisen losschlägt; man denkt nicht daran, man verehrt ihn als den Retter, als den schützenden Schild in der Not. So auch hier. Die gefallenen Häuser richteten sich mit Grazie empor, sie schienen Hoffnung zu schöpfen, sie schienen den Messias der Börse zu erwarten. Er kam. Acht Finanzminister berühmter Könige und Kaiser trugen auf ihren Schultern eine Art von Triumphwagen, der die transparente Inschrift: „Seid umschlungen Millionen!“ trug. Ein Herr mit einer pikanten, morgenländischen Physiognomie, wohlbeleibt und von etwas schwammigem Ansehen, saß in dem Wagen und stellte den Triumphator vor.

Mit ungemeinem Applaus wurde er begrüßt, als er von den Schultern der Minister herab auf den Boden stieg. „Das ist Nothschild! Es lebe Nothschild!“ schrie man in den ersten Ranglogen und klatschte und rief Bravo, daß das Haus zitterte. Es war mein erster Grotesktänzer, der diese schwierige Rolle meisterhaft durchführte; besonders als er mit dem englischen, österreichischen, [471] preußischen und französischen Ministerium einen Cosaque[3] tanzte, übertraf er sich selbst. Nothschild gab in einer komischen Solopartie seinem Reich, der Börse, den Frieden, und der erste Akt der großen Pantomime endigte sich mit einem brillanten Schlußchor, in welchem er förmlich gekrönt und zu einem allerhöchsten cher Cousin gemacht wurde.

Als der Vorhang gefallen war, ließ sich Mylord ziemlich ungnädig über diese Szene aus. „Es war zu erwarten“, sagte er, „daß diese Menschen bedeutenden Einfluß auf die Kurse bekommen werden, aber daß auf der Börse von London ein solcher Skandal vorfallen werde, im Jahr 1826, das ist unglaublich.“

„Mein Herr!“ erwiderte der Marquis lachend, „unglaublich finde ich es nicht. Bei den Menschen ist alles möglich, und warum sollte nicht einer, wenn er auch im Judenquartier zu Frankfurt das Licht der Welt erblickte, durch Kombination so weit kommen, daß er Kaiser und Könige in seinen Sack stecken kann?“

„Aber England, Altengland! Ich bitte Sie“, rief der Lord schmerzlich. „Ihr Frankreich, Ihr Deutschland hat von jeher nach jeder Pfeife tanzen müssen! Aber, God damn! Das englische Ministerium mit diesem Hephep[4] einen Cosaque tanzen zu sehen, o! es ist schmerzlich!“

„Ja, ja!“ sprach Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn, sehr ruhig, „es wird und muß so kommen. Freilich ein bedeutender Unterschied zwischen 1826 und der Zeit des Königs David.“

„Das finde ich nicht“, antwortete der Marquis, „im Gegenteil, Sie sehen ja, welch großen Einfluß die Juden auf die Zeit gewinnen!“

„Und dennoch finde ich einen bedeutenden Unterschied“, erwiderte der Deutsche. „Damals, mein Herr, hatten alle Juden nur Einen König, jetzt aber haben alle Könige nur Einen Juden.“

„Wenn Sie so wollen, ja. Aber neugierig bin ich doch, was


  1. Komische Oper von Rossini (1813).
  2. Kaimakan, in der Türkei Titel des Vorstehers eines Kreises; dann heißt K. auch jeder Stellvertreter eines hohen Beamten; in der Armee entspricht der K. dem Oberstleutnant.
  3. Cosaque, russischer Nationaltanz, bei dem sich der Körper mehr dem Boden nähert, die Arme über der Brust gekreuzt oder in die Hüften gestemmt werden und durch starkes Auftreten der bespornten Hacken der Takt geschlagen wird.
  4. Spottruf gegen die Juden.[WS 1]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. hierzu den Artikel bei Wikipedia.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 470–471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)