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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

für eine Szene uns der Teufel jetzt geben wird. Ich wollte wetten, Frankreich oder Italien kommt ans Brett.“

„Ich denke, Deutschland“, erwiderte Garnmacher, „ich wenigstens möchte wohl wissen, wie es im Jahr 1826 oder 1830 in Deutschland sein wird. Als ich die Erde verließ, war die Konstellation sonderbar. Es roch in meinem Vaterland wie in einer Pulverkammer, bevor sie in die Luft fliegt. Die Lunte glühte, und man roch sie allerorten. Die feinsten diplomatischen Nasen machten sich weit und lang, um diesen geheimnisvollen Duft einzuziehen und zu erraten, woher der Wind komme. Meinen Sie nicht auch, es müsse bedeutende Veränderungen geben?“

„Es wird heißen – auch in diesem Jahr ist es geblieben wie es war“, antwortete ich dem guten Deutschen. „Um eine Lunte auszulöschen, bedarf es keine großen Künste. Man wird bleiben wie man war, man wird höchstens um einige Prozente weiser vom Rathaus kommen. Sie wollen Ihr Vaterland in die Szene gesetzt sehen, um zu erfahren, wie es Anno 1826 dort aussieht? Armer Herr! da müßte ich ja zuvor noch fragen, was für ein Landsmann Sie sind.“

„Wie verstehen Sie das?“ fragte der Baron unmutig.

„Nun? Was könnte man Ihnen denn Allgemeines und Nationelles vorspielen, da Sie keine Nation sind? Sind Sie ein Bayer, so müßte man Ihnen zeigen, wie man dort noch immer das alte ehrliche Bier, nur nach neuen Rezepten braut; sind Sie Württemberger, so könnten Sie erfahren, wie man die Landstände wählte. Sind sie ein Rheinpreuße und drückt Sie der Schuh, so lassen Sie sich den eigenen Fuß operieren, denn an dem Normalschuh darf nichts geändert werden. Sind Sie ein Hesse, so trinken Sie ganz ruhig Ihren Doppelkümmel zum Butterbrot, aber denken Sie nichts, nicht einmal, ob es in der letzten Woche schön war und in der nächsten regnen wird; sind Sie ein Brandenburger, so machen Sie, daß Ihnen die Haare zu Berg stehen, und hungern Sie, bis Sie eine schöne Taille bekommen – –“

„Herr, Sie sind des Teufels!“ fuhr der Baron auf; „wollen Sie uns alles Nationalgefühl absprechen? Wollen Sie –“

„Stille! Sie sehen, der Vorhang geht wieder in die Höhe!“ [473] rief der Marquis; „wie, was sehe ich? Das ist ja das Portal von Notre Dame! Das finde ich sonderbar. Wenn man von Frankreich etwas in die Szene setzen will, warum gibt man uns kein Vaudeville, warum nicht den Kampf der Kammer?“

Die Glocken von Notre Dame ertönten in feierlichen Klängen. Chorgesang und das Murmeln kirchlicher Gebete näherte sich, und eine lange Prozession, angeführt von den Missionären, betrat die Bühne. Da sah man königliche Hoheiten und Fürsten mit den Mienen zerknirschter Sünder, den Rosenkranz in der Hand, einherschleichen; da sah man Damen des ersten Ranges, die schönen Augen gen Himmel gerichtet, die à la Madonna gekämmten Haare mit wohlriechender Asche bestreut, die niedlichen Füßchen bloß und bar in dem Staube wandelnd. Das Publikum staunte; man schien seinen Augen nicht zu trauen, wenn man die Herzogin D–s, die Comtesse de M–u, die Fürstin T–d im Kostüm einer Büßenden zur Kirche wandeln sah. Doch als Offiziere der alten Armee nicht mit Adlern, sondern mit heiligen Fahnen in der Hand hereinwankten, als sogar ein Mann in der reichen Uniform der Marschälle, den Degen an der Seite, die Kerze in der Hand und Gebetbücher unter dem Arm, über die Szene ging, da wandte sich der Marquis ab, die Soldaten der alten Garde an unserer Seite ballten die Fäuste und riefen Verwünschungen aus, und wer weiß, was meinen Acteurs geschehen wäre, hätte man faule Äpfel oder Steine in der Nähe gehabt. Das hohe Portal von Notre Dame hatte endlich die Prozession aufgenommen, und nur der Schluß ging noch über die Szene. Es war ein Affe, der eine Kerze in der Hand und unter dem Arm eine Vulgata trug; man hatte ihm einen ungeheuren Rosenkranz als Zaum um den Hals gelegt, an welchem ihn zwei Missionäre wie ein Kalb führten. So oft er aus dem ruhigen Prozessionsschritt in wunderliche Seitensprünge fallen wollte, wurde er mit einer Kapuzinergeißel gezüchtigt und schrie dann, um seine Zuchtmeister zu versöhnen: „Vive le bon Dieu! vive la croix!“ So brachten sie ihn endlich mit großer Mühe zur Kirche, Orgel und Chorgesang erscholl, und der Vorhang fiel.

„Haben Sie nun Genugthuung?“ sagte der Marquis zu dem

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 472–473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_238.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)