Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 012.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

diese frischen Purpurlippen haben schon geküßt, aber anders als nur solche Hofratsküsse!

Der gute Alte äußerte etwas von diesen Gedanken gegen Ida, sie aber sah ihm ganz ruhig ins Gesicht und versicherte lächelnd, gefallen habe ihr schon mancher, geliebt habe sie aber bis diese Stunde noch keinen Mann, als ihren Vater und ihn.


Schöne Augen.

„Aber sagen Sie, Idchen“, fragte der Hofrat, als er sie wieder an ihren Platz geführt hatte, „ist das etwa ein Kousin oder dergleichen, der da mit Ihnen kam?“

„Ich kam mit Papa“, antwortete die Gefragte, „und sonst war niemand dabei. Wen meinen Sie denn?“

„Nun, der Bleiche dort kam ja doch wohl mit Ihnen, es kennt ihn niemand im Saal, und mit Ihnen trat er herein, sonst müßte er ja, Sie wissen, daß das Museum geschlossene Gesellschaft ist, sonst müßte er ja eingeführt sein. Sehen Sie, der dort.“ Er zeigte hin. An eine Säule gelehnt, stand unbeweglich mit überschlagenen Armen eine schlanke Gestalt. Noch konnte Ida das Gesicht nicht sehen, nur die glänzenden schwarzen Locken des Haares fielen ihr auf; sie wollte sich eben besinnen, wo sie schon solche gesehen habe, da wandte jener sich um, und unwillkürlich schrak Ida zusammen; gespensterhafte Blässe lag auf diesem feinen, schönen Gesicht, geheimer Gram oder verschlossenes Kämpfen mit finsterem Leiden schien das muntere, jugendliche Leben aus diesen tiefen, im schönsten Ebenmaß geformten Zügen hinweggewischt zu haben, und ein gemischtes Gefühl drängte sich bei seinem Anblick auf, neugieriges Mitleid schien sich mit zweifelhafter Furcht streiten zu wollen.

Kaum hatte des Fremden glühendschwarzes Auge Ida getroffen, als sie ihren Blick abwandte. Überraschung und Verlegenheit machten sie stumm auf einige Augenblicke; von dem Diadem auf der schönen Stirne, über den Liliensamt der blühenden Wange bis herab auf den jungfräulichen Alabasterbusen flog ein brennendes Rot, das der Hofrat nicht unbemerkt ließ. Er [19] wollte sie eben mit dem pfiffigsten Gesicht nach der Ursache ihres Rotwerdens fragen, aber eine Unzahl Herren drängte sich zu, um sie um einen Tanz zu bitten; Vettern und Basen freuten sich, sie wiederzusehen und gafften das Wunderkind an. Der Hofrat aber, welchem daran lag, die Spur, die er aufgefunden zu haben meinte, zu verfolgen, machte seine Bewegungen wie ein geübter Feldherr; er fragte sie so laut als möglich, ob es ihr jetzt, wie sie gewünscht, gefällig sei, zu ihrem Herrn Vater zu gehen, der im dritten Zimmer sich zu einem Whistchen[WS 1] gesetzt habe? und Pfiffköpfchen verstand gleich, wo der gute Alte hinauswollte; sie beurlaubte sich also mit großer Hast von dem ungeheuren Kometenschweif, in welchem sie als Kern gesessen, und ging mit Berner durch den Saal.

Und jetzt nahm sie Berner ins Gebet; zuerst setzte er die Daumenschrauben des Spottes an, dann untersuchte er die vermeintliche Herzenswunde seines Gold-Idchens mit der langen Sonde des väterlichen Ernstes, indem er ihr vorwarf, sehr unklug gethan zu haben, ihre Residenzliebhaber mit nach Freilingen zu nehmen. Sie aber lachte dem Ratgeber, welcher meinte, seine Sache recht gut gemacht und sie ganz im Netz zu haben, ins Gesicht und witschte ihm aus.

„Sie geben sich vergebliche Mühe, Hofrätchen“, kicherte das lose Ding, „ganz vergebliche Mühe, ich habe diesen Menschen in meinem ganzen Leben, auf Ehre, noch nie gesprochen; doch gesehen“, setzte sie, ernster werdend, hinzu, „gesehen habe ich ihn, und deswegen kam ich auch vorhin etwas in Verlegenheit.“

„Was da! zwischen sehen und sehen ist ein großer Unterschied“, antwortete Berner mit einem völlig ungläubigen Kopfschütteln; „da müssen Sie ihm doch ein wenig gar scharf in die Augen gesehen haben?“

„So hören Sie mich doch, Sie böser Mann!“ unterbrach ihn Ida, „wer wird denn auch gleich auf den Schein hin verdammen; ich sage noch einmal, ich weiß nicht, wer er ist, aber das innigste Mitleid habe ich mit ihm. Als wir gestern durch den Lanzinger Wald kamen, fuhren wir einer Equipage vor, die ganz langsam im Schritt hinging. Es war ein prachtvoller Landau[WS 2]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Whist, ein Kartenspiel.
  2. Ein Landauer ist eine viersitzige Kutsche mit einem klappbaren Verdeck. Im 18. und 19. Jahrhundert war er bevorzugter Reisewagen und Statussymbol der begüterten Kreise.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 18–19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_012.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)