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traurigen Zeit nicht bemerkt, daß sein armer Herr Freude an rauschender Lustbarkeit hatte; es mußte etwas Eigenes sein, das ihn noch einmal da hinaufzog, denn wenn er sich sonst auch in das fröhlichste Gewühl gestürzt hatte, so war er doch immer nach einem halben Stündchen wieder zurückgekommen. Und heute hatte er ihn sogar an die Stunde mahnen müssen; heute ging er zu einer Zeit, wo er sonst erschöpft von Kummer und Unglück dem Schlaf in die Arme geeilt war, noch einmal auf den Tanzboden. „Gott gebe, daß es zu seinem Heil ist“, schloß der treue Diener seine Betrachtungen und wischte sich die Augen.

Der Saal war noch leer, als Emil oben eintrat, nur die Musikanten stimmten ihre Geigen, probierten ihre Hörner und ließen die Schlegel dumpf auf die Pauken fallen, um zu sondieren, ob das tiefe C recht scharf anspreche, mitten durch netzten sie auch ihre Kehlen mit manchem Viertel, denn ein ellenlanger Kotillon sollte den Ball beschließen. Löffel- und Messergeklirr, das Jauchzen der Anstoßenden tönte aus dem Speisesaal; ein schwermütiges Lächeln zog über Emils blasses Gesicht, denn er gedachte der Zeiten, wo auch er keiner fröhlichen Nacht ausgewichen war, wo auch er unter frohen, guten Menschen den Becher der Freude geleert und, wenn kein liebes Weib, doch treue Freunde geküßt hatte und mit fröhlichem Jubel in das allgemeine Millionenhallo und Welthurra der Freude eingestimmt hatte; unter diesen Gedanken trat er in den Speisesaal. In bunten Reihen saßen die fröhlichen Gäste die lange Tafel herab; man hatte soeben die hunderterlei Sorten von Geflügel und Braten abgetragen und stellte jetzt das Dessert auf. Gewiß! man konnte nichts Schöneres sehen als die Präzision, mit welcher die Kellner ihr Dessert auftrugen, die Bewegungen auf die Flanken und ins Zentrum gingen wie am Schnürchen, die schweren Zwölfpfünder der Torten und Kuchen, das kleinere Geschütz der französischen Bonbons und Gelees wurde mit Blitzesschnelle aufgefahren, in prachtvoller Schlachtordnung, vom Glanz der Kristalllüsters bestrahlt, standen die Guß-, Johannisbeeren-, Punsch-, Rosinentorten, die Apfelsinen, Ananas, Pomeranzen, die silbernen Platten mit Trauben und Melonen. Aber Hofrat Berner hatte sie auch eingeübt, [31] und den besten Kellnerrekruten schwur er hoch und teuer, in acht Tagen so weit bringen zu wollen, daß er einen bis an den Rand gefüllten Champagnerkelch auf eine spiegelglatte silberne Platte gesetzt, die Treppe heraufspringen könne, ohne einen Tropfen zu verschütten, was in der Geschichte des Servierens einzig in seiner Art ist. Wenn die Festins[WS 1], die er zu arrangieren hatte, herannahten, hielt er auf folgende Art völlige Übungen und Manövres. Er setzte sich in den Salon, wo gespeist werden sollte, ließ eine Tafel zu dreißig bis vierzig Kouverts[WS 2] decken, und wie den Rekruten ein fingierter Feind mit allen möglichen Bewegungen gegeben wird, so zeigte er ihnen auch Präsidenten, Justizräte, Kollegiendirektoren, Regierungsräte und Assessoren mit Weib und Tochter, Kind und Kegel und mahnte sie, bald diesem ein Stück Braten, jener diese Sauciere[WS 3] zu servieren, bald einem dritten und vierten einzuschenken und dem fünften eine andere Sorte vorzusetzen; da sprangen und liefen die Kellner sich beinahe die Beine ab, aber probatum est[WS 4] – wenn der Tag des Festes herannahte, durfte er auch gewiß sein, zu siegen. Wie jener große Sieger, der nur mit feierlichem Ernst die Worte sprach, heute ist der Tag von Friedland[WS 5], oder sehet die Sonne von Austerlitz[WS 6], so bedurfte es von seinem Mund auch nur einige ermahnende tröstliche Hindeutungen auf frühere Bravouren und gelungene Affairen, und er konnte darauf rechnen, daß keiner der zwanzig Kellergeister über den andern stolperte, oder ihm die Aalpastete anstieß, oder daß sie mit Sauce und Salat einander rannten, purzelten und auf dem Boden die ganze Bescherung servierten.

Mit dieser Präzision war also auch heute die Tafel serviert worden; der Nachtisch war aufgetragen, die schweren Sorten, als da sind Laubenheimer, Nierensteiner, Markebrunner, Hochheimer, Volnay, feiner Nuits, Chambertin, beste Sorten von Bordeaux, Roussillon, wurden weggenommen und der zungenbelebende Champagner aufgesetzt. Hatte schon der aromatische Rheinwein die Zungen gelöst und das schwärzliche Rot des Burgunders den Liliensamt der jungfräulichen Wangen und die Nasen der Herren gerötet, so war es jetzt, als die Pfröpfe flogen und die Damen nicht wußten, wohin sie ihre Köpfe wenden sollten, um den schrecklichen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Französisch: Festessen, Festgelage.
  2. Französisch: Tafelgedecke.
  3. Französisch: Soßenkännchen.
  4. Latein: Es hat sich bewährt.
  5. Der 14. Juni 1807, an welchem Napoleon bei Friedland über Preußen und Rußland siegte (vgl. Wikipedia).
  6. Geflügeltes Wort nach einem Ausruf Napoleons, der seinen Offizieren Mut machen wollte, indem er sie an die siegreiche Schlacht bei Austerlitz erinnerte. Durch die Sonne hatte sich bei dieser Schlacht der dichte Bodennebel gelichtet, einen Überblick über die Kampfhandlungen ermöglicht und so entscheidend zum Sieg Napoleons beigetragen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 30–31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_018.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)