Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 026.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und konfrontierte beide, der Balthaser hatte den Bedienten des Fremden in des Küsters Haus gehen und beide bald darauf mit dem Fremden im Münster verschwinden sehen. Er gab dies zu, bat mich aber, nicht weiter in ihn zu dringen, weil es ein furchtbares Geheimnis sei, das er nicht verraten dürfe. So neugierig ich war, stellte ich mich doch ganz ruhig, bedauerte, daß er nichts sagen dürfe, weil es ihm sonst eine Bouteille Alten[WS 1] (seine schwache Seite) eingetragen hätte; da gab er weich und erzählte –“

„Nun fahren Sie doch fort“, sagte Ida ungeduldig, „Sie wissen von früher her, daß ich für mein Leben gerne Geschichten höre, namentlich geheimnisvolle, die bei Nacht in einer Kirche spielen.“

„So, so? man hört gerne Geschichten von interessanten, geheimnisvollen Leuten? Nun ja, hören Sie weiter; der Küster, der für seine Mühe einen harten Thaler bekam, führte gestern nacht einen Herrn, der bleich wie der Tod, aber so vornehm wie ein Prinz ausgesehen haben soll, in den Münster. Dort habe sich der Fremde auf die Altarstufen gesetzt und in voller Herzensangst gebetet. Dann sei ein Sturm gekommen, wie er fast noch nie einen gehört; er habe an den Fenstern gerüttelt und geschüttelt und die Scheiben in die Kirche herein geschlagen, der Herr aber habe wunderliche Reden geführt, als reite der Teufel draußen um die Kirche und wolle ihn holen.

Der Küster glaubt auch daran wie ans Evangelium und weint wie ein Kind um den bleichen, jungen Mann, der schon so früh in die Hölle fahren solle. Dabei verspricht er aber ganz getrost, wenn der Herr alle Nacht bei ihm einkehre und sich in den Schutz seines Münsters begebe, solle ihm vom Bösen kein Haar gekrümmt werden. Sehen Sie, das ist die Geschichte, da werde jetzt einer klug daraus; was halten Sie davon?“

In ängstlicher Spannung hatte Ida zugehört, in hellem Wasser schwammen ihr die großen, blauen Augen, die volle, schöne Schwanenbrust hob sich unter der durchsichtigen Chemisette[WS 2], als wolle sie einen Berg von sich abwälzen, die Stimme versagte ihr, sie konnte nicht gleich antworten.

„O Gott!“ rief sie, „was ich geahnt, scheint wahr zu sein, [47] der arme Mensch ist gewiß wahnsinnig; denn an die thörichte Konjektur[WS 3] des Küsters werden Sie doch nicht glauben?“

„Nein, gewiß glaube ich an solche Thorheiten nicht, aber auch was Sie sagen, scheint mir unwahrscheinlich; sein Auge ist nicht das eines Irren, sein Betragen ist geordnet, artig, wenn auch verschlossen.“

„Aber haben Sie nicht bemerkt“, unterbrach ihn Ida, „nicht bemerkt, wie unruhig er wurde, wie sein Auge rollte, als es eilf Uhr schlug? Gewiß hat es eine ganz eigene Bewandtnis mit dieser Stunde, und irgend eine Gewissenslast treibt ihn wohl, um diese Zeit Schutz in dem Heiligtum zu suchen, das jedem, der mühselig und beladen kömmt, offen steht.“

„Ihr Frauen habt in solchen Sachen oft einen ganz eigenen Takt“, antwortete der Hofrat, „und sehet oft weiter als wir, doch will ich auch hier bald auf der Spur sein, denn mich peinigt alles, was ich nur halb weiß, und mein Idchen weiß mir vielleicht auch Dank, wenn ich mit dem Herrn Nachbar Bleichwanioso aufs reine komme; das greifen wir so an: der Mondwirt ist mein spezieller Freund, weil ich gewöhnlich abends mein Schöppchen bei ihm trinke und mir seit zehn Jahren das Essen von ihm tragen lasse. Ich speise nun die nächsten paar Tage an seiner Tafel, und er muß mein Kouvert neben das seines bleichen Gastes setzen lassen; bekannt will ich bald mit ihm sein, und habe ich ihn nur einmal auf einem freundschaftlichen Fuß, so will ich den alten Diener aufs Korn fassen. Natürlich holt man weit aus und fällt nicht mit der Thüre ins Haus; aber ich habe schon mehr solche Käuze ausgeholt, es ist nicht der erste.“


Das Dejeuner.

„Das ist herrlich“, sagte Ida und streichelte ihm die Wangen, wie ehemals, wenn er ihr etwas geschenkt oder versprochen hatte. „Das machen Sie vortrefflich, zum Dank bekommen Sie aber auch etwas Extragutes, und jetzt gleich!“ Sie stand auf und ging hinaus; dem Hofrat puperte das Herz vor Freude, als er das wunderherrliche Mädchen dahingehen sah; die zarten Füßchen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Eine Flasche alten Wein.
  2. Chemisette (frz. Hemdchen), weißer Einsatz vorn am Oberteil eines Kleides, meist aus Batist, Tüll oder Musselin, (vgl. Wikipedia).
  3. (lat.) Vermutung, Deutung.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 46–47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_026.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)